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Stroh, Decken, Kleidungsstücke im Sturme durch die Luft weggeführt
und mehr als 30 Transportschiffe nebst mehreren Kriegsschiffen in
Trümmern an die Küste geworfen wurden. Regengüsse und Schnee¬
schauer wechselten mit Frost und plötzlichem Thauwetter ab. Trotz¬
dem mußten die Belagerungsarbeiten fortgesetzt und die Angriffe der
Russen, die in der Festung einen viel besseren Schutz gegen die
Witterung fanden, zurückgeschlagen werden. Weder das Wasser in
den Laufgräben und Schanzen, noch der Sturm oder die Kälte der
Nächte durften die Krieger von ihrem Platze vertreiben. Da brachen
verheerende Krankheiten unter ihnen aus und rafften mehr Menschen
hinweg, als die Kugeln und das Schwert der Russen. Alle diese
Leiden wurden aber noch vermehrt durch die äußerst mangelhafte
Armeeverwaltung.
Im französischen Lager war der Zustand besser, als im englischen;
die Verpflegung der Krieger war geregelter, ihre Zelte und Lager¬
hütten, sowie ihre Kleidung schützten besser gegen Wind und Wetter,
und ihr Lagerplatz war gesunder.
Von Seiten des englischen Parlaments wurden nun über die
äußerst mangelhafte Armeeverwaltung die heftigsten Klagen erhoben.
In Folge dessen machte man die größten Anstrengungen, den Uebeln
abzuhelfen und die Lücken des Heeres durch neue Mannschaften
auszufüllen; denn jetzt forderte es die Ehre des Landes, nicht nach¬
zugeben und etwa unter schimpflichen Bedingungen mit Rußland
einen Frieden zu schließen. Frankreich hatte dieselben Ansichten;
es blieb deshalb treu mit England vereinigt.
Nun wurde von Seiten der Verbündeten, sowie auch von Ru߬
land Alles aufgeboten, den Krieg in seiner ganzen Furchtbarkeit
fortzusetzen. Der Kaiser Nikolaus befahl eine allgemeine Bewaff¬
nung des russischen Volkes; das Heer der Franzosen in der Krim
wurde auf 100,000, das der Engländer auf 31000 Mann gebracht,
und auch ein türkisches Korps von 28000 Mann unter Omer
Pascha besetzte den wichtigen Seeplatz Eupatoria.
i Plötzlich und ganz unerwartet starb am 2. März 1855 der Kaiser
Nikolaus. Der Tod dieses Fürsten unterbrach aber den Kampf bei
Sebastopol nicht; denn fein Nachfolger, Alexander II., erklärte bei
seiner Thronbesteigung, daß er die Größe und den Ruhm Rußlands
aufrecht erhalten und die Bestrebungen Peters des Großen, der
Kaiserin Katharina und seines Vaters sich zur Richtschnur nehmen
werde. — Zum Glück brachte jedoch das Jahr 1855 für die Ver¬
bündeten noch eine wichtige Entscheidung mit sich.
Es war zunächst nicht unwichtig, daß sich der König von Sar¬
dinien mit England und Frankreich verband und 15000 Mann
unter dem General La Marmora nach der Krim schickte. Dieses
Korps konnte eine bedeutende Lücke in der Reihe des Belagerungs¬
heeres ausfüllen, und es wurde nun der Festung immer härter