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Zweiter Zeitraum: 1648—1789.
daß er über die Verpflichtungen, die er gegen die Seemächte eingegangen
war, hinwegsah und sich zu der Annahme des Testamentes entschloß.
Bald aber bildeten sich zwei große Koalitionen zur Entscheidung
aller großen, seit so langer Zeit angeregten Fragen. Auf der einen Seite
stand Frankreich mit Spanien, als seiner dynastischen Secundogenitur;
ihnen trat zunächst der Kurfürst von Baiern bei, der die Regierung der
Niederlande im Namen der spanischen Krone verwaltete und über die An¬
sprüche seines Sohnes mit dem Kaiser in bittern Hader gerathen war, wo¬
gegen ihm Frankreich alles zusicherte, was er über Oesterreich gewinnen würde.
Seiner Politik schloß sich sein Bruder, der Kurfürst von Köln, an und
der Herzog von Savoyen wurde für die Allianz gewonnen dadurch, daß
man seine Tochter zur Gemahlin das neuen Königs von Spanien bestimmte.
Auf der andern Seite fand der Kaiser Leopold nicht nur Bundesgenossen
an den beiden deutschen Fürsten,, die ihm ihre Standeserhöhung verdank¬
ten, dem neuen Kurfürsten von Hannover und dem Könige von
Preußen, sondern auch die beiden Seemächte, verletzt durch die Auf-
gebung des Theilungsvertrages und in der Ueberzeugung, daß die Combi¬
nation der französisch-spanischen Macht ihrem Handel gefährlich sein werde,
näherten sich dem Kaiser so weit, daß sie zwar nicht seinem Hause die Ver¬
theidigung seiner Ansprüche auf die ganze spanische Monarchie zusagten,
aber doch ihm die italienischen Nebenländer verschaffen wollten.
2. Der Krieg bis zum Tode Leopold's I., 1705.
A. Der Krieg in Ober-Italien und in den Niederlanden.
Noch ehe es zum Abschlüsse der Bündnisse gekommen war, eröffnete
Eugen von Savoyen den Krieg in Italien. In Süd-Tirol sammelte der
Kaiser ein Heer von 30,000 M., an deren Spitze Prinz Eugen sich nach
Italien wenden und dort die spanischen Nebenlande dem Feinde entreißen
sollte. Mit bedeutender Uebermacht bewachte dagegen Märschall Eatinat an
der Etsch alle Alpenpässe und hielt die Ausgänge des Gebirges so fest
geschlossen, daß Niemand an die Möglichkeit glaubte, Eugen könne mit seiner-
schwachen Schaar diese Schranken durchbrechen. Er selbst gab es nach rascher
Besichtigung auf, eine der Heerstraßen zu sorciren, und entschloß sich dafür
zu einem Alpenmarsche nach dem Muster Hannibal's. Von Roveredo aus
ging es auf steilen Fuß- und Saumpfaden bergauf, die Reiter ihre Pferde
einer hinter dem andern führend, jedes Geschütz mit 20 oder 30 Ochsen
bespannt, die Truppen unaufhörlich beschäftigt, den Weg dafür durch Wald
oder Gesteine durchzuhauen. Eine Menge Geräth ging auf dem kühnen Zuge
zu Grunde, aber die Hauptsache gelang, und nach vier Tagen stand das
Heer auf venetianischem Boden. Eatinat, schon durch den AlUnübergang
auf das höchste überrascht, . rechnete jetzt auf einen Angriff bei Verona;
wieder aber tauschte ihn Eugen, indem er stromabwärts nach Süden zog, bei