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29. Der Rhein.
(Aus einem größeren Gedichte).
1. O Sohn der Alpen, in krystallnen Wiegen
Genährt von Gletscherbrüsten, heil'ger Rhein,
Wenn du dem blauen Schweizersee entstiegen
Dich jauchzend warfst vom schroffen Felsgestein,
Und glorreich nun, ein Held nach frühen Siegen,
Das Thal durchwallst im laubgen Kranz von Wein
Zur Lust den Bölkern und der Flur zum Segen:
Wie schlägt dir hoch das deutsche Herz entgegen!
2. Und traun, mit Fug! Denn deutschen Lebens Bild
Und Zeuge bist du, seit von süßen Zähren
Auf deinen Höh'n der Rebstock feurig schwillt;
All' um dich her erwuchsen unsre Ehren.
Du sahst zuerst erhöht des Reiches Schild,
Des Reichs, uach dem wir fromm noch heut begehren,
Wir Waisen, nun im eignen Vaterlaude
Ruhmlos zertheilt, wie du zuletzt im Sande.
3. Den Kaisern warst du werth; die Starken zog
Der Starke, daß, was gleich, zusammenwohne;
Hier stand der Stuhl des großen Karl; hier bog
Konrad das Haupt vor Konrad, eine Krone
Mit Lächeln missend; hier im Festgewog
Schied der im rothen Bart vom ehrnen Sohne;
Siegstrunken möcht' er deinen Wirbeln lauschen,
Nicht ahnend, daß sein Tod bald solches Rauschen.
4. Auf deinen Burgen horstet' ein Geschlecht
Frei, wild und mild; es wohnt' in seinem Sinne
Von deiner Traub' ein Anflug, zum Gefecht
Das Herz befeuernd wie zu Sang und Minne.
Wie freudig blutet' hier der Edelknecht,
Wenn aus der Herrin Blick von hoher Zinne
Ein Gruß als erster, ach! und letzter Dank
Auf sein verströmend Leben niedersank!
5. Und Städte sahn voll Trotz in deine Welle,
Wo unter'm Krummstab Bürgerfreiheit sproß
Und Füll' und Kunst, und wo dann morgenhelle
Die neue Zeit ihr Kinderaug' erschloß.
Denn war's zu Mainz nicht, wo in stiller Zelle
Ein andrer Dädalus die Flügel goß,
Die stark das Wort in alle Winde tragen?
Ward nicht zu Worms des Glaubens Schlacht geschlagen?