Full text: Für mittlere Klassen (Theil 2)

447 
3 
Er hat Euch bestanden, was Keiner besteht, 
Und könnt Ihr des Herzens Gelüste nicht zähmen, 
So mögen die Ritter den Knappen beschämen." 
25. Drauf der König greift nach dem Becher schnell, 
In den Strudel ihn schleudert hinein: 
„ Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell', 
So sollst du der trefflichste Ritter mir sein, 
Und sollst sie als Ehgemahl heut' noch umarmen, 
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen." 
26. Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt, 
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn, 
Und er siehet erröthen die schöne Gestalt, 
Und sieht sie erbleichen und sinken hin; 
Da treibt's ihn den köstlichen Preis zu erwerben, 
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben. 
27. Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück, 
Sie verkündigt der donnernde Schall; 
Da bückt sichs hinunter mit liebendem Blick: 
Es kommen, es kommen die Wasser all', 
Sie rauschen heraus, sie rauschen nieder — 
Den Jüngling bringt keines wieder. 
Fr. v. Sch ill.er. 1797. 
49. Die Bürgschaft. 
1. ZuDionhs, deni Tyrannen, schlich 
Möros, den Dolch im Gewände; 
Ihn schlugen die Häscher in Bande. 
„Was wolltest du mit dem Dolche? 
sprich!" 
Entgegnet ihm finster der Wütherich. 
„Die Stadt vom Tyrannen befreien!" 
„Das sollst du am Kreuze bereuen." 
2. „Ich bin," spricht jener, „zum 
Sterben bereit, 
Und bitte nicht um mein Leben; 
Doch willst du Gnade mir geben: 
Ich flehe dich um drei Tage Zeit, 
Bis ich die Schwester dem Gatten 
gefreit; 
Ich lasse den Freund dir als Bürgen, 
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen." 
3. Da lächelt der König mit arger 
List, 
Und spricht nach kurzem Bedenken: 
„Drei Tage will ich dir schenken; 
Doch wisse! wenn sie verstrichen, die 
Frist, 
Eh' du zurück mir gegeben bist, 
So muß er statt deiner erblassen, 
Doch dir ist die Strafe erlassen." 
4. Und er kommt zum Freunde: „ Der 
König gebeut, 
Daß ich am Kreuz mit dem Leben 
Bezahle das frevelnde Streben, 
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, 
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; 
So bleib' du dem König zum Pfande, 
Bis ich komme, zu lösen die Bande." 
5. Und schweigend umarmt ihn der 
Freund, 
Und liefert sich aus dem Tyrannen; 
Der andere ziehet von dannen. 
Und ehe das dritte Morgenroth scheint, 
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwe¬ 
ster vereint, 
Eilt heim mit sorgender Seele, 
Damit er die Frist nicht verfehle.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.