Full text: Die Töchterschule (Theil 13)

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den Himmel bau'n. Die Dohlen haben sich auf Turmknopf und 
Wetterfahne geflüchtet und sehn herab und sträuben ihr Gefieder 
vor Angst. Die Rüststangen stehen wenige Fuß heraus, und die 
unsichtbaren Hände lassen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein 
Hämmern im Herzen des Dachstuhls. Die schlafenden Eulen schrecken 
auf und taumeln aus ihren Luken zackig in das offene Aug' des 
Tages hinein. Die Dohlen hören's mit Entsetzen; das Menschen— 
kind unten auf der festen Erde vernimmt es nicht, die Wolken oben 
am Himmel ziehen gleichmütig darüber hin. Lang' währt das Pochen, 
dann verstummt's. Und den Rüststangen nach und quer auf ihnen 
liegend schieben sich zwei, drei kurze Bretter. Hinter ihnen er— 
scheint ein Menschenhaupt und ein Paar rüstige Arme. Eine Hand 
hält den Nagel, die andere trifft ihn mit geschwungenem Hammer, 
bis die Bretter fest aufgenagelt sind. Die fliegende Rüstung ist fertig. 
So nennt sie ihr Baumeister, dem sie eine Brücke zum Himmel 
werden kann, ohne daß er es begehrt. Auf die Rüstung baut sich 
nun die Leiter, und ist das Turmdach sehr hoch, Leiter auf Leiter. 
Nichts hält sie zusammen als der eiserne Hängehaken, nichts hält 
sie fest als auf der Rüstung vier Männerhände und oben die Helm— 
stange, an der sie lehnt. Ist sie einmal an der Ausfahrtür und an 
der Helmstange mit starken Tauen angebunden, dann sieht der kühne 
Schieferdecker keine Gefahr mehr in ihrem Besteigen, so weh dem 
schwindelnden Menschenkinde tief unten auf der sichern Erde wird, 
wenn es heraufschaut und meint, die Leiter sei aus leichten Spänen 
zusammengeleimt wie ein Weihnachtsspielwerk für Kinder. Aber eh' 
er die Leiter angebunden hat — und um das zu tun, muß er erst 
einmal hinaufgestiegen sein, — mag er seine arme Seele Gott be— 
fehlen. Dann ist er erst recht zwischen Himmel und Erde. Er 
weiß, die leichteste Verschiebung der Leiter — und ein einziger falscher 
Tritt kann sie verschieben — stürzt ihn rettungslos hinab in den 
sichern Tod. den Schlag der Glocken unter ihm zurück, er 
kann ihn erschrecken! Die Zuschauer tief unten auf der Erde falten 
atemlos unwillkürlich die Hände; die Dohlen, die er von ihrem 
letzten Zufluchtsorte verscheucht, krächzen wildflatternd um sein Haupt; 
nur die Wolken am Himmel gehen unberührt ihren Pfad über ihn 
hin. Nur die Wolken? Nein. Der kühne Mann auf der Leiter 
geht so unberührt wie sie. Er ist kein eitler Wagling, der frevelnd 
von sich reden machen will; er geht seinen gefährlichen Pfad in 
seinem Berufe. Er weiß, die Leiter ist fest; er selbst hat das fliegende 
Gerüst gebaut, er weiß, es ist fest; er weiß, sein Herz ist stark, und 
sein Tritt ist sicher. Er sieht nicht hinab, wo die Erde mit grünen
	        
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