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daß er ihnen gerne verziehe, und daß er sich freue, zu den Gei¬
stern der edlen Männer der Vorwelt hinüberzugehen. So
kehrte er mit ruhiger Würde in's Gefängniß zurück. Indessen
hatten seine Freunde, die von nun an immer bei ihm waren,
Anstalten gemacht, ihn zu retten. Sie hatten den Wächter
bestochen, die Thüre des Gefängnisses stand offen, Sokrates
sollte entfliehen. Aber ec wies jeden Vorschlag dieser Art mit
den Worten zurück, man müsse stets un-d überall den Gesetzen
gehorchen, und beschämt und wehmüthig verließen ihn seine
Getreuen. Am folgenden Tage, wo er den Giftbecher trinken
sollte, waren sie schon früh bei ihm. Auch seine Frau war da,
mit dem jüngsten Kinde auf den Armen; aber sie weinte und
wehklagte, und machte alleAnwesende so weichherzig, daß So¬
krates bat, sie wegzuführen. —*■- Ach! schluchzte einer seiner
Freunde, wenn du nur nicht so ganz unschuldig stürbest! —>
Wie, erwiederte Sokrates mit Lächeln, wolltest du denn lieber,
daß ich schuldig stürbe? Darauf leitete ec ein ernstes Gespräch
ein über Leben und Tod, und über seine Hoffnung, daß es mit
dem Menschen, wenn er stürbe, nicht aus wäre, sondern daß
seine Seele unsterblich fortdaure. So unterredete er sich bis
zum Abend. Nachdem er sich noch gebadet, um, wie er sagte,
den Frauen das lästige Geschäft zu ersparen, seinen Leichnam
zu waschen, wurde der Becher mit dem Gift gebracht. Sage
mir, fragte erden Gerichtsdiener, wie muß ichs nun machen?
— Du mußt nach dem Trinken im Zimmer aust und niederge¬
hen, bis dich die Müdigkeit überfällt; dann legst du dich. So¬
krates nahm den Becher, betete, und trank mit ruhigem, un¬
verändertem Angesicht. Die Freunde weinten laut rings um
ihn her, und rangen die Hände. Still doch! sagte Sokrates,
ich habe ja darum diesen Morgen meine Frau weggeschickt. Als
das Gift zu wirken anfing, legte ec sich gelassen nieder. Freun-
de! sagte er matt, ich genese. (Er betrachtete nämlich das Le¬
ben als eine Krankheit, als eine Reihe von Mühseligkeiten
und Gefahren, von denen der Tod heile). Darauf hüllte ec
sich in seinen Mantel und verschied. — Mit solcher Gelas¬
senheit und Würde starb der weise Sokrates im Jahr 400 vor
Christi Geburt.