Full text: Die Töchterschule (Theil 13)

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daß er ihnen gerne verziehe, und daß er sich freue, zu den Gei¬ 
stern der edlen Männer der Vorwelt hinüberzugehen. So 
kehrte er mit ruhiger Würde in's Gefängniß zurück. Indessen 
hatten seine Freunde, die von nun an immer bei ihm waren, 
Anstalten gemacht, ihn zu retten. Sie hatten den Wächter 
bestochen, die Thüre des Gefängnisses stand offen, Sokrates 
sollte entfliehen. Aber ec wies jeden Vorschlag dieser Art mit 
den Worten zurück, man müsse stets un-d überall den Gesetzen 
gehorchen, und beschämt und wehmüthig verließen ihn seine 
Getreuen. Am folgenden Tage, wo er den Giftbecher trinken 
sollte, waren sie schon früh bei ihm. Auch seine Frau war da, 
mit dem jüngsten Kinde auf den Armen; aber sie weinte und 
wehklagte, und machte alleAnwesende so weichherzig, daß So¬ 
krates bat, sie wegzuführen. —*■- Ach! schluchzte einer seiner 
Freunde, wenn du nur nicht so ganz unschuldig stürbest! —> 
Wie, erwiederte Sokrates mit Lächeln, wolltest du denn lieber, 
daß ich schuldig stürbe? Darauf leitete ec ein ernstes Gespräch 
ein über Leben und Tod, und über seine Hoffnung, daß es mit 
dem Menschen, wenn er stürbe, nicht aus wäre, sondern daß 
seine Seele unsterblich fortdaure. So unterredete er sich bis 
zum Abend. Nachdem er sich noch gebadet, um, wie er sagte, 
den Frauen das lästige Geschäft zu ersparen, seinen Leichnam 
zu waschen, wurde der Becher mit dem Gift gebracht. Sage 
mir, fragte erden Gerichtsdiener, wie muß ichs nun machen? 
— Du mußt nach dem Trinken im Zimmer aust und niederge¬ 
hen, bis dich die Müdigkeit überfällt; dann legst du dich. So¬ 
krates nahm den Becher, betete, und trank mit ruhigem, un¬ 
verändertem Angesicht. Die Freunde weinten laut rings um 
ihn her, und rangen die Hände. Still doch! sagte Sokrates, 
ich habe ja darum diesen Morgen meine Frau weggeschickt. Als 
das Gift zu wirken anfing, legte ec sich gelassen nieder. Freun- 
de! sagte er matt, ich genese. (Er betrachtete nämlich das Le¬ 
ben als eine Krankheit, als eine Reihe von Mühseligkeiten 
und Gefahren, von denen der Tod heile). Darauf hüllte ec 
sich in seinen Mantel und verschied. — Mit solcher Gelas¬ 
senheit und Würde starb der weise Sokrates im Jahr 400 vor 
Christi Geburt.
	        
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