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feinen Armen aus dem Saale tragen wollte: „Laßt mich hier sterben und
weinet nicht um mich! Teuer hab' ich mein Leben verkauft; wohl hundert
Feinde hab' ich erschlagen, nun sterbe ich herrlichen Tod durch eines Königs
Hand." Weiter wütete der Tod im Saale. Vor Hagens Schwerte Balmuug
entfloh zuletzt auch Hildebrand mit einer schweren Wunde. Nur Günther
und Hagen standen noch zwischen den Leichen der Freunde und Feinde.
Als Dietrich feinen blutbefpritzten Waffenmeister sah, rief er unwillig:
„Warum habt ihr gegen mein Gebot mit den Burgunden gestritten?" Hilde¬
brand sagte: „Sie wollten uns Rüdigers Leiche nicht herausgeben!" Da
rief der König weinend: „O wehe mir, daß mein Freund und Helfer tot ist!
Und wehe feinen armen Waisen!" Zu Hildebrand aber sprach er: „Sage
den Meinen, daß sie sich wctffnen, und bringe mir mein Streitgewand, daß
ich die Burgunden befrage." Hildebrand aber sprach: „Wer soll mit euch
gehen? Ich allein blieb übrig!" Da rief Dietrich tief bewegt: „So hat
Gott mein vergessen! Der reiche Dietrich mag nun ein armer heißen. Ach,
daß vor Leide niemand sterben mag!" Dann waffnete er sich, ging zu Günther
und Hagen in den Saal und forderte sie auf, sich zu ergeben. Hagen
aber sprach: „Was wäre das für eine Schande, wenn sich zwei Helden in
Wehr und Waffen ergeben wollten! Laßt sehen, wer der beste Held ist!"
Und abermals begann ein furchtbarer Kampf zwischen den beiden stärksten
Helden Dietrich und Hagen. Zuletzt schlug Dietrich dem Hagen eine
breite Wunde, umschloß den gewaltigen Helden mit feinen Armen, band ihm
die Hände und brachte ihn gefangen zu Kriemhild. Da glänzten ihre Augen
tn schrecklicher Freude. Dietrich aber sprach: „Thut ihm kein Leid, weil ei-
gebunden vor euch steht!" Dann ging Dietrich noch einmal in den Saal,
Überwand auch Günther und brachte ihn gefeffelt zu Kriemhild. „Seid
willkommen, König Günther!" rief die Königin höhnisch. Dietrich aber bat
ne: „Seid gnädig mit den Heimatlosen um meinetwillen! Nie gab es bessere
Geiseln!" Dann wandte er den Rücken und ging mit Thränen hinweg.
Kriemhild ließ nun die beiden Gefangenen in zwei gesonderte Kerker
führen. Zu Hagen sprach sie dann: „Nun gebt mir den Nibelungenfchatz
heraus, so möget ihr lebendig heimkehren!" Hagen aber antwortete: „Die
Rede ist gar verloren! Ich habe geschworen, den Hort niemand zu geben
und zu zeigen, solange einer meiner Herren lebt!" Da sprach das entsetzliche
Weib: „Ich bring' es zu Ende!" ließ ihrem Bruder das Haupt abschlagen
und trug es an den Haaren zu Hagen. Da sprach der eherne Held grimmig
und froh: „Nun hast du's nach deinem Willen zu Ende gebracht, wie ich
gedacht! Die Könige sind tot, der Schatz aber soll dir Teufelin ewig ver¬
hohlen fein^' Da rief Kriemhild außer sich vor Wut: „Hab' ich nicht
Siegfrieds Schatz, so hab' ich doch Siegfrieds Schwert!" Damit riß sie blitz¬
schnell das Schwert Balmung aus Hagens Schwertfcheide und schlug dem
Helden das Haupt ab. Mit Siegfrieds Schwert rächte sie Siegfrieds Mord
an dem Mörder. Etzel klagte laut: „Wehe, wie ist der beste Held von eines
Weibes Hand gefällt!" Meister Hildebrand aber rief voll Zorn: „Sie
soll sich feines Todes nicht freuen. Ich will den Tod des Helden an ihr
rächen!" Sein blankes Schwert schwang er über die Königin. Laut schrie
sie auf in Todesangst, und tot sank sie neben der Leiche ihres Todfeindes
zusammen. Etzel und Dietrich aber weinten um die hingemordeten Helden,
„Mit Leide war beendet des Königs hohes Fest, wie Freude immer Leiden
am Ende 'gerne läßt."
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