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110. 
Legende. 
Von Colshorn. 
Vergl. BruderPhilipp'S Marienlcben, herausg. von H.Rückcrt. Quedlinburg 1853. S. 112. 
Als Christus etwa neun Jahr alt war, gieng er einmal am 
Sabbath mit andern Kindern anfs Feld, um zu spielen. Auf dem 
Felde aber lag vieler frischer Lehm; iinb die Kinder vertrieben sich 
die Zeit damit, daß sie aus dem Lehm kleine Vögel bildeten. Doch 
keiner machte sie so schmuck und schlank, wie das heilige Kind. 
Als die Kinder noch so harmlos spielten, kam ein alter Jude 
daher mit langem Bart und dickem Stock; der schalt und sprach: 
Warum entheiliget ihr den Sabbath? Wollt ihr machen, das; 
ihr fortkommt!' Christus trat ihm sauft entgegen und antwortete: 
Wir spielen ja nur.' Da wurde der Jude noch zorniger und 
sprach: <Du bist gerade-der Allerschlimmste; aber wartet, ich will 
eurem Spiel ein Ende machen!' 
Damit erhob er den dicken Stock und gieng aus die Vögel 
los, um sie zu zerschlagen und zn zertreten. Doch Christus kam 
ihm zuvor, klatschte in die Händchen und rief: <Prrr!' Und siehe! 
alle die kleinen Vögel wurden lebendig und flogen davon und 
sangen und zwitscherten. Der Jude erschrak und schlich beschämt 
nach Hanse; die Kinder aber spielten fröhlich weiter. 
111. 
Legende vom Hufeisen. 
Von Goethe. 
Werke. Stuttg. u- Tüb. 1810. II, 224. — Schillcr's Musenalmanach f. 1798. S- 144. 
Als noch, verkannt u. sehr gering, 
Unser Herr auf der Erde gieng, 
Und viele Jünger sich zu ihm fanden, 
Die sehr selten sein Wort verstanden, 
Liebt' er sich gar über die Maßen, 
Seinen Hof zu halten aufder Straßen, 
Weil unter des Himmels Angesicht 
Man immer bester und freier spricht. 
Er ließ sie da die höchsten Lehren 
Aus seinem heiligen Munde hören; 
Besonders durch Gleichnis u. Exempel 
Macht' er einen jeden Markt zum 
Tempel. 
So schlendert' er in Geistes Nlih 
Mit ihnen einst einem Städtchen zn, 
Sah etwas blinken auf der Straß', 
Das ein zerbrochen Hufeisen was. 
Er sagte zn Sanct Peter drauf: 
'Heb doch einmal das Eisen äus!' 
Sanct Peter war nicht aufgeräumt, 
Er hatte so eben im Gehen geträumt, 
So was vom Regiment der Welt, 
Was einem jeden wohlgefällt: 
Denn imKopf hat das keineSchranken; 
Das waren so seine liebsten Gedanken. 
Nun war der Fund ihm viel zu 
klein, 
Hätte müssen Krön' und Zepter sein; 
Aber wie sollt' er seinen Rücken 
Nach einem halben Hufeisen bücken? 
Er also sich zur Seite kehrt 
Und thut, als hätt' er's nicht gehört. 
Der Herr, nach seiner Langmuth, drauf 
Hebt selber das Hufeisen auf 
Und thut auch weiter nicht der¬ 
gleichen. 
Als sic nun bald die Stadt erreichen, 
Geht er vor eines Schmiedes Thür,
	        
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