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142.
Lrühtingstied.
Von Platen.
Werke. Stuttgart u. Tübingen 1847. I, 117. — Minckwitz: Briefwechsel. Leipzig 1836-
S. xxxiv.
Süß ist der Schlaf am Morgen
Nach durchgeweinter Nacht,
Und alle meine Sorgen
Hab' ich zur Ruh gebracht.
Mit feuchtem Augenlide
Begrüß' ich Hain und Flur:
Im Herzen wohnt der Friede,
Der tiefste Friede nur.
Schon lacht der Lenz den Blicken,
Er mildert jedes Leid,
Und seine Veilchen sticken
Der Erde junges Kleid.
Schon hebt sich hoch die Lerche,
Die Staude steht im Flor,
Es ziehn aus ihrem Pferche
Die Heerden sanft hervor.
Und weil am Felsenriffe
Das Meer sich leiser bricht,
Wird rings der Bauch der Schiffe
Zur neuen Fahrt verpicht.
Den Uferdamm umklettern
Eidechsen rasch bewegt,
Und Nachtigallen schmettern,
Die jede Laube hegt.
Gezogen von den Stieren
Wird schon der blanke Pflug,
Und Menschen scheint und Thieren
Die Erde schön genug.
Nicht findet mehr der Waller
Das Gottesbild zu weit,
Es sind die Seelen aller
Gestimmt zur Frömmigkeit.
Das Netz des Fischers hanget
Im hellsten Sonnenschein,
Und sein Gemüth verlanget,
Der Winde Spiel zu sein.
O mein Gemüth, erfreue
An diesem Glanz dich auch,
Sei glücklich und erneue
Der Lieder Flötenhauch.
Auf daß die stumpfen Herzen
Du doch zuletzt besiegst,
Wenn frei von allen Schmerzen
Tief unterm Gras du liegst.
143.
Verschiedenartiger Naturgenuß.
Von Alexander v. Humboldt.
Kosmos. Stuttgart und Tübingen 1845. I, 6-
Wenn wir über die verschiedenen Stufen des Genusses
nachdenken, welchen der Anblick der Natur gewährt, so finden
wir, daß die erste unabhängig von der Einficht in das Wirken der
Kräfte, ja fast unabhängig von dem eigenthümlichen Charakter der
Gegend ist, die uns umgiebt. Wo in der Ebene, einförmig, ge¬
sellige Pflanzen den Boden bedecken lind auf grenzenloser Ferne
das Auge ruht, wo des Meeres Wellen das Ufer sanft bespülen
und durch Ulven und grünenden Seetang ihren Weg bezeichnen:
überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes
Ahnen ihres ^Bestehens nach inneren ewigen Gesetzen.' In solchen