302
Schutz fanden, als auf dem platten Lande. Eine Hungersnoth brach aus
und steigerte sich zu einer solchen Höhe , dass die Menschen zu den
ekelhaftesten und ungesundesten Nahrungsmitteln ihre Zuflucht nehmen
mussten. Stroh und Gras und Baumrinde wurden gegessen, gefallenes
Vieh mit Gier verschlungen. Selbst Kinder sollen getödtet und Leichen
von den Schlachtfeldern geholt sein, um den Hunger zu stillen. Unter
den zusammengepressten , hungernden Haufen brach die Pest aus und
fand in dem schrecklichen Elend einen furchtbaren Verbündeten. Die
Menschen fielen, wie die Fliegen an der Wand. Bald konnten die Todten
nicht mehr begraben werden. Man warf sie über die Mauer und liess
sie den wilden Thieren zum Frass. In Neubrandenburg sollen 8000, in
Güstrow gar 20,000 Menschen gestorben sein , was immer möglich sein
kann, da, wie gesagt, das Landvolk von allen Seiten in die Städte ge¬
flohen war.
In den Jahren 1643 und 44 war Mecklenburg noch einmal der Schau¬
platz des Krieges, als die Schweden nach Dänemark zogen und die Kai¬
serlichen ihnen auf dem Fuss folgten. Doch erreichte die Noth bei
weitem nicht die schreckliche Höhe, welche sie in den dreissiger Jahren
gehabt hatte, und ging auch bald vorüber.
Als der Krieg beendigt war, mochte Mecklenburg noch 50,000 Ein¬
wohner haben. Die Städte hatten etwa drei Viertheile ihrer früheren
Bevölkerung, das platte Land noch mehr verloren. In Sternberg lebten
ein Jahr lang einige Dutzend Menschen und richteten sich unter Schutt
und Trümmern kümmerlich ein. Im Amte Stavenhagen lagen dreissig
Dörfer wüste. Im Amte Gnoien waren drei Bauern und drei Kossäten,
im Amte Neukalen ein Bauer und zwei Kossäten am Leben. Eine Menge
Dörfer waren gänzlich untergegangen und sind nie wieder aufgebaut
worden. In den eigentlichen Schreckensjahren hatte Rostock am we¬
nigsten zu leiden; denn die Herzoge von Mecklenburg, aus Furcht, es
möchten sich die Schweden der Stadt bemächtigen, hatten eine starke
Besatzung hineingelegt. Die Rostocker waren anfangs damit gar nicht
zufrieden gewesen; aber hinterher haben sie die Vorsorge des Herzogs
preisen gelernt. Denn während das übrige Land auf eine wahrhaft kan¬
nibalische Weise verwüstet wurde, war Rostock die einzige Stadt, welche
keinen Feind in ihren Mauern sah, dagegen vielen Flüchtlingen von nah
und fern einen sicheren Aufenthalt gewähren konnte.
Der Verlust an Menschen wurde nur sehr langsam und zum Theil
von aussen her wieder ersetzt. Fremde Soldaten, die eben in Mecklen¬
burg waren, als sie Sie Waffen niederlegen mussten, namentlich Schwe¬
den, blieben in dem entvölkerten Lande und wurden gerne aufgenom¬
men. Aus Holstein, Dänemark und andern Ländern, die weniger durch
den Krieg gelitten hatten, kamen Ansiedler nach Mecklenburg und lies¬
sen sich hier nieder. Die Namen Nehls, Jenss, Ehrich, Bannier und
andere weisen nach Schweden und Dänemark hin. Die holsteinischen
Namen sind deutsche und deshalb am Klange nicht zu erkennen; doch
sollen im Westen unseres Landes mehrere Namen vorkommen, die im
Osten fast gar nicht, in Holstein aber sehr oft gefunden werden und da¬
durch auf ihren Ursprung zurückweisen.
Schrecklich war das sittliche Verderben, welches der Krieg hervor¬
rief. Ein ganzes Geschlecht wuchs in den wilden Stürmen auf und lernte
es gar nicht anders kennen, als dass rohe Gewalt die Welt regiert. Die
schönen Gottesdienste der Väter gingen unter, die Schulen verfielen, Er¬
kenntniss des Heils verschwand. In demselben Masse, wie die Gottes¬