Object: Dichtung des Mittelalters (Teil 1)

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Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode. 
Zweiundzwanzigskes Abenteuer. 
Wie Etzel mit Lriemhild Hochzeit hielt. 
Auf der weiteren Reife wird Kriemhild von Etzel in Begleitung von 24 Königen 
und mächtigen Fürsten, unter denen vor allen hervorleuchtet der gewaltige Gotenkönig, 
Dietrich von Bern, zu Tuln an der Donau glänzend empfangen und dann nach Wien 
geleitet, wo mit verschwenderischer Pracht 17 Tage lang Hochzeit gefeiert wird. Aber 
aller Glanz, alle Ehren vermögen nicht, ihre Gedanken an Siegfried zu bannen. 
Wie sie am Rhein gesessen, sie gedacht an das, 
Bei ihrem edeln Manne; ihr Auge wurde naß; 
Sie sucht' es zu verbergen, es sollt' es keiner sehn. 
Ihr war nach manchem Leide ja so viel Ehre geschehn. 
Endlich gelangt sie zur Etzelnburg, wo sie als gewaltige Königin neben 
Etzel thront. 
Areiundzwanzigstes Abenteuer. 
Wie Kriemhild ihr Leid zu rächen gedachte. 
Sieben Jahre find verflossen; inzwischen ist Kriemhild ein Söhnlein, namens 
Ortlieb, geboren, und neue sechs Jahre sind dahingeeilt, und noch immer muß sie 
gedenken ihrer Rache. 
Sie dacht' auch mancher Ehren im Nibelungenland, 
Die ihr geboten wurden, und die ihr Hägens Hand 
Nach Siegfriedens Tode hatte ganz geraubt, 
Ob das noch zuleide möchte kommen seinem Haupt. 
Da bittet sie ihren Mann, Boten an den Rhein zu senden und ihre Ver¬ 
wandten zu einem Feste in das Heunenland zu laden. Gern willfährt Etzel ihrer 
Bitte, und bald ziehen die Fiedelspieler Werbelin und Swemmelin als Boten 
nach Worms, nachdem Kriemhild ihnen eingeschärft, doch ja alle ihre Verwandten 
mitsamt Hagen herbeizuführen. 
Vierundzwanzigstes Abenteuer. 
Wir Werbet und Zwemmet die Lotschaft ausrichteten. 
Als die Boten zu Worms die Einladung Etzels ausrichten, fordert Günther 
sieben Tage Bedenkzeit. Hagen allein widerrät dringlich die Reise. 
1. „Was wir getan haben, ist Euch doch wohl kund. 
Drum haben wir zur Sorge vor Kriemhild allen Grund; 
Ich schlug ihr zu Tode den Mann mit meiner Hand: 
Wie dürften wir zu reiten wagen hin in Etzels Land?" — 
2. „Sie ließ den Haß ja fahren", sprach Günther gegen ihn. 
„Mit minniglichem Kusse hat sie uns verziehn. 
Was wir je ihr taten, eh' sie von hinnen ritt. 
Es sei denn, daß sie, Hagen, nur Euch nicht meinte damit." —
	        
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