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sterben für seine Brüder. Sein Verlust wurde ihnen
nun der Sporn, Gott immer eifriger zu suchen, um
mir dem Seligen einst eine Seligkeit zu genießen. Auch
viele Andere, die dies sahen und horren, besserten ihr
Leben; und Gott lenkte es so, daß auch die auf den
Trümmern des Schiffs Zurückgebliebenen noch gererrer
wurden. Ihre Rettung überzeugte ffe, daß, wenn uns,
uinlagert von allen Gefahren deö Todes, alle mensch¬
liche Hülfe schwindet, Gotr dennoch Mittel und Wege
weiß, uns zu erhalten, wenn es uns ersprießlich ist, er¬
halten zu werden. — Tode aber erntet nun den Lohn,
der verheißen ist denen, die mit Christo ihr Leben las¬
sen für die Brüder.
30. Christliche Selbstaufopferung.
Vor etwa 150 Jahren wüthete zu Marseille die
Pest in einem sehr hohen Grade. Jedes-Band der Zu¬
neigung war gelost. Aelrern wendeten sich von ihren
Kindern, Kinder von ihren Aeltern. Undankbarkeit und
Harte fand keinen Tadel mehr, denn das Elend war so
hoch gestiegen, daß es jede sanfte Einpfindung zerstörte.
Die Aerzte waren auf dem Rathhanse versammelt, um
ein Mittel zu entdecken wodurch der Seuche Einhalt
gethan werden könnte. Alle stimmten darin überein,
daß diese Krankheit einen eigenthümlichen verborgenen
Charakter habe, den nur die Seetion eines daran Ver¬
storbenen enthüllen dürfte. Aber eben so augenschein¬
lich stand die riesenhafte Gefabr des Lebens für den da,
der solche Seetion, oder Oeffnung eines Verstorbenen
vollbringen würde. Todtenstille folgte auf diese Ent¬
scheidung. Da stand ein Wundarzt, Namens Hein¬
rich Gyon, ein kraftvoller Mann in der Blütbe seines
Lebens, berühmt durch seine Kenntnisse und wohlthätige
Handlungen, plötzlich auf und sagte entschlossen: „Sei
es so.' ich weihe mich für die Rettung meiner Vaterstadt,
und schwöre vor dieser Versammlung zu Gott im Namen
der Menschheit und Religion, daß ich morgen mir dem
Anbruche des Tages einen an der Pest Verstorbenen