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2. Das gesellschaftliche Leben, a) Die Geistlichkeit. 3m Franken¬
reich gehörte schon vor Karl dem Großen der dritte Teil des Bodens der Kirche.
Dieser Besitz wuchs noch mit der Zeit. Außerdem bezog die Kirche von den
Bauern den Zehnten, mußte aber für ihr ungeheures Vermögen keine Steuern
entrichten.
b) Der Adel. Die Adeligen, einst die Lehensleute der Könige, besaßen
vor der Revolution ein Drittel des französischen Bodens zu eigen. Die Bewirt¬
schaftung der Güter geschah durch Leibeigene und Bauern, von deren Abgaben
der Edelmann lebte. Ein Gewerbe zu treiben, hielt er für eine Schande; seinem
Könige als Offizier zu dienen, galt ihm allein für ehrenhaft. Diese 140 000
Adeligen genossen wie die Geistlichkeit fast gänzliche Steuerfreiheit.
c) Der Bürger- und Bauernstand. Beiden bevorzugten Stünden stan¬
den Bürgertum und Bauernstand mit 25 Millionen Menschen als dritter Stand
gegenüber. Zum Bürgertum zählten Gutsbesitzer, Großkaufleute, Männer mit
freien Berufen und der Handwerkerstand. Das verachtetste Volk waren die
Bauern. Sie lebten in elenden, strohbedeckten Hütten, die meistens keine Fenster
hatten. Nahrung und Kleidung waren schlecht; denn der Bauer mußte vier
Fünftel seiner Einkünfte und oft mehr an seinen Herrn abgeben. Von 100 Franken
Einnahmen betrugen die Abgaben und Steuern manchmal bis 80 Franken.
Die großen Naturalabgaben veranlaßten den Bauer, einen Teil des Feldes brach
liegen zu lassen. Es entstand daher oft Hungersnot. Zu diesen Lasten kamen
noch Steuern auf Lebensrnittel, besonders auf Salz. Der Zentner Salz kostete
in manchen Provinzen bis 170 Franken. Zeder über 7 Zahre alte Franzose mußte
jährlich dem Staat sieben Pfund abkaufen.
3. Das wirtschaftliche Leben. Unter dem Druck des Staates standen
auch Handwerk, Zndustrie und Handel. Die Regierung führte eine strenge Aufsicht
über alle Geschäfte. Es wurde beispielsweise genau vorgeschrieben, wie lang und
wie breit ein Stück Tuch sein durfte, wie ein Webstuhl eingerichtet sein mußte,
wie viele Arbeiter zu beschäftigen seien. Durch solche Maßnahmen wurde das
Geschäftsleben niedergehalten; die Arbeitsstockung brachte Hungersnot. Es gab
viele Unzufriedene. Sie wurden auf Befehl des Königs ins Gefängnis geworfen,
denn „gesetzlich ist es, weil ich es will", sprach der König.
4. Das höfische Leben. Wie ganz anders aber sah es am Hofe aus!
Da herrschte die größte Verschwendung. 18000 Menschen zählten zur Umgebung
des Königs. Zn den Marställen waren 1900 Pferde, deren Unterhaltung jährlich
allein 20 Millionen Franken kostete. 100 Millionen reichten zur Unterhaltung
des Hofes nicht aus. Den zehnten Teil aller Einnahmen verschlang dieser Hof.
Er wurde „das Grab des Volkes".
II. Das neue Frankreich.
1. Ausbruch der Revolution. Diese Zustände riefen im Volke Wut und
Erbitterung wach. Viele Schriftsteller vermehrten die Unzufriedenheit durch ihre
Schriften. Sie lehrten: „Die Menschen werden frei und an Rechten gleich
geboren und bleiben es." Die Gärung wuchs; ein glühender Haß gegen alles
Bestehende, ein flammender Zorn gegen den König und seine Ratgeber bemächtigten
sich des Volkes. Die Stimmung wurde auch nicht besser, als Ludwig XVI.,
der Enkel Ludwig XV., zur Regierung kam. Er war ein gutmütiger und
wohlwollender Regent. Sofort nach seinem Regierungsantritt übertrug er die