Object: Von den Uranfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Abteilung 1, [Schülerband])

302 
fließt ihr Doppelbild zusammen zu einer idealen Einheit; was sie mit 
der gleichen Begeisterung erfüllte, war die Freiheit: die Wahrheit 
suchen zu dürfen sowohl in der unendlichen Größe der göttlichen Wellord¬ 
nung, wie in den geheimsten Tiefen der hoffenden Menschenseele. Sie 
glauben noch an die Zukunft und den endlichen Sieg des Guten; umflossen 
von unvergänglicher Schönheit steht ihr Zdeal der Menschheit auf lichter 
Höhe; und wie dasselbe ihrem Leben und Streben vorangeleuchtet hat, 
ist es auch das Humanitätsideal des neunzehnten Jahrhunderts geworden. 
Friedrich von Schiller. 
Schillers sämtliche Werke in 12 Bänden. Stuttgart, 1860. 
Die Macht bcs Gesanges. 
Ein Regenstrom aus Felsenrissen, 
Er kommt mit Donners Ungestüm, 
Bergtrümmer folgen seinen Güssen, 
Und Eichen stürzen unter ihm; 
Erstaunt, mit wollustvollem Grausen, 
Hört ihn der Wanderer und lauscht, 
Er hört die Flut vom Felsen brausen, 
Doch weiß er nicht, woher sie rauscht: 
So strömen des Gesanges Wellen 
Hervor aus nie entdeckten Quellen. 
Verbündet mit denfurchtbarn Wesen, 
Die still des Lebens Faden drehn, 
Wer kann des Sängers Zauber lösen, 
Wer seinen Tönen widerstehn? 
Wie mit dem Stab des Eötterboten 
Beherrscht er das bewegte Herz; 
Er taucht es in das Reich der Toten, 
Er hebt es staunend himmelwärts 
Und wiegt es zwischen Ernst und 
Spiele 
Auf schwanker Leiter der Gefühle. 
Wie wenn auf einmal in die kreise 
Der Freude, mit Gigantenschritt, 
Geheimnisvoll, nach Geisterweise, 
Ein ungeheures Schicksal tritt; 
Da beugt sich jede Erdengröße 
Dem Fremdling aus der andern 
Welt, 
Des Jubels nichtiges Getöse 
Verstummt, und jede Larve fällt, 
Und vor der Wahrheit mächtigem 
Siege 
Verschwindet, jedes Werk der Lüge: 
So rafft von jeder eiteln Bürde, 
Wenn des Gesanges Ruf erschallt, 
Der Mensch sich auf zur Geister¬ 
würde 
Und tritt in heilige Gewalt; 
Den hohen Göttern ist er eigen, 
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn, 
Und jede andre Machtmuß schweigen, 
Und kein Verhängnis fällt ihn an; 
Es schwinden jedes Kummers Falten, 
So lang des Liedes Zauber wallen. 
Und wie nach hoffnungslosem 
Sehnen, 
Rach langer Trennung bitterm 
Schmerz, 
Ein Kind mit heißen Reuetränen 
Sich stürzt an seiner Mutter Herz: 
So führt zu seiner Jugend Hütten, 
Zu seiner Unschuld reinem Glück, 
Vom fernen Ausland fremder Sitten 
Den Flüchtling der Gesang zurück, 
In der Natur getreuen Armen 
Von kalten Regeln zu erwärmen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.