Full text: Nicolaisches Realienbuch

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konnte. Menschen jedes Stammes und jedes Standes trafen dort zu¬ 
sammen, erzählten sich, was es Neues und Wunderbares gab überall in 
der Welt, und fahrende Spielleute, die von einem Hofe zum andern 
zogen, sangen ihre Lieder zum Lobe der großen Könige und Helden, die 
damals die Welt mit dem Ruhme ihrer Waffentaten erfüllten. Auch 
von mancherlei neuen und seltsamen Künsten hörte man sagen, die man 
jenseits des Rheinstromes und der Alpen bei fremden, dunkelhaarigen 
Völkern gesehen und gelernt habe, und zeigte Werkzeuge, Waffenschmuck 
und Münzen vor, die man im Tausche oder im Kampfe mit ihnen als 
köstliche Kleinodien davongetragen. Bei solchen Gelegenheiten horchte 
der Schmied wohl aus, vernahm, was gesagt, und betrachtete, was 
gezeigt wurde, offenen und nachdenklichen Sinnes, wie ein verständiger 
Mann tut, und machte sich über alles seine eigenen Gedanken. So 
währte das Leben in Werkstatt und Herberge des Schmiedes das ganze 
Jahr hindurch, bis unwegsames Wetter im Spätherbst den Verkehr 
hemmte, bis der schweigsame Schnee die weiten Lande in eine weiße Ein¬ 
öde verwandelte und stöbernd gewaltige Wälle auf der Wetterseite der 
Schmiede auswarf. Dann war es still da unten, und das Klappern und 
Klingen der Hammerschläge erstarb, wie der Herzschlag in eines toten 
Mannes Brust. 
In einer wilden Märznacht nun, als der Schnee bereits am 
Schmelzen war, lag einmal der Schmied auf seinem Lager und lauschte 
im Einschlafen auf das schurrende Geräusch der Steinblöcke, die der 
überschäumende Bach zu Tal schob. Da drang es plötzlich an sein Ohr 
wie Heulen und Brausen. Erst unbestimmt, wie von weiter Ferne her, 
aber rasch sich nähernd wie auf Fittichen des Sturmes, schwoll es an 
zu einem entsetzlichen, hohlen und tiefen Getöse, untermischt mit Pfeifen, 
Stöhnen und einzelnen wilden Schreien. Dazwischen erklang es wie 
das langgezogene nächtliche Geheul von Hunden und dumpfdröhnender 
Hufschlag. 
Der Schmied war starr von Entsetzen. Es war, als ob der Lärm 
durch alle Lücken des Hauses hereindränge und an allen Türen rüttelte, 
als ob gräßliche Stimmen durch die Esse herabführen und die Eisen¬ 
stangen in der Werkstatt vor Schrecken rasselnd widereinander schlügen. 
Da, mit einem Schlage, hörte alles auf, es ward eine Totenstille, und 
zugleich erscholl vom Hoftor her ein lautes, ungestümes Pochen und der 
herrische Ruf: „Auf da! Auf da!" 
Der Schmied sprang von seinem Lager, eilte zum Tor und schob 
die Riegelbalken zurück. Da erkannte er im ungewissen Schein der 
Nacht eine stolze, hochragende männliche Gestalt in weitem, wehendem 
Mantel mit breitem Schlapphut und neben ihm ein riesiges Schimmel¬ 
roß. „Mein Gaul hat ein Eisen gebrochen beim schnellen Ritt," redete 
ihn mit tief dröhnender Stimme der nächtliche Reiter an, „und du sollst
	        
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