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um sich unterhalb dieses Weges zu vereinigen. Der erste, der uns später noch
weiter begleiten wird, ist das „Ramsauer Wasser“, der zweite das „Wimbach—
wasser“. Diesem gilt unser Abstecher; denn es kommt aus einer langen, engen
Felsenspalte, die sich unter dem Namen der „Wimbachklamm“ eines großen
Rufes erfreut. Der Ausdruck „Klamm“ ist ein überaus bezeichnender; denn er
drückt eine Felsenspalte aus, in der ein Waldbach eingeklemmit herniederstürzt.
In Tirol nennt man dergleichen Engtäler Klausen, von clausus. Noch ahnen
wir die großartige Szenerie nicht, die uns erwartet; noch umgibt uns das freie
Tal. Nicht lange, und ein Wasserdonner stürmt aus der Felsenklemme hervor,
in die wir eben eintreten. Auf schön gebahntem Wege, einem Geschenke des Königs
Ludwigs J. von Bayern, dringen wir vorwärts, und je weiter wir kommen, um so
mächtiger der Donner, um so enger, dämmriger die Felsenspalte. Links stürzen
von den steilen, zum Teile köstlich bemoosten Kalkwänden hundert und aber
hundert Gießbäche, eine unaufhörliche Flut, herab in die weißschäumenden Wogen,
während über dem Abgrunde die freundlichen Gestalten der Laubbäume so sicher
herabblicken, als ob sie wüßten, daß sie eine wohlwollende Macht ungefährdet
hierhergestellt hat. Der ganze Anblick ist um so großartiger, als der Regen eben
die Quellen der Gießbäche reichlich gefüllt hat. Wir haben uns Glück zu
wünschen, die Szenerie gerade in solcher Fülle und Üppigkeit sehen zu können.
Pfeilschnell plätschern in tiefen Furchen die Gießbäche hernieder oder stürzen
über schroffe Abhänge platzregenartig donnernd herab in die Tiefe. Unten aber
wirbeln sie, an mächtigen Felsblöcken des Flußbettes zerschellt, als Wolkenstaub
wieder in die Höhe und erfüllen die Luft mit einer Feuchtigkeit, welche ihrerseits
durch die unaufhörliche Verdunstung eine so frische Temperatur hervorruft, daß
uns der dicke Plaid allein gegen sie schützt. Eine viele hundert Fuß lange,
von Holz gezimmerte, ebenso kühn wie geschickt angelegte, schmale, an den Seiten
mit Geländern versehene Brücke, von welcher Querbalken zwischen beiden gegen—
überliegenden Felsenwänden zum Schutze und besseren Halte, oft auch kleinere
Zweigbrücken abgehen, führt durch den donnernden Schlund. In der Tat ist
dieses Gebrause derart, daß man sich nur schwer verständlich machen kann. Um
so stiller wird das Gemüt, fast mit Grausen blickt man hinab in die furchtbare
Hexenküche, wo es „wallet und siedet und brauset und zischt“ und emporsprüht
der gewaltige Gischt, als ob da unten ein sterbendes Ungetüm, das Wasser mit
seinem furchtbaren Schweife zu Schaum zerschlagend, sich röchelnd und schlangen—
gleich niederwälze. Immer höher steigt der Pfad, und immer abgeschlossener,
tobender wird das Ganze in seiner furchtbaren Schönheit. Oft zagt der Fuß,
weiter aufwärts zu schreiten, es ist, als ob eine magische Gewalt uns von dem
schlüpfrigen Pfade in die Tiefe ziehen könne. Wenn man auch nicht selten im
Hochgebirge an ähnlichen Szenen vorüberkommt, nicht selten mächtigere Wasser—
stürze und Stromschnellen erscheinen, so drückt doch die außerordentliche Enge
der Klamm einen höchst eigentümlichen Charakter auf. Wäre sie nicht so viel
großartiger und durch das empörte Wasser wie seine Fülle so durchaus ver—
schieden, so würde ich sie, was mir augenblicklich einfiel, mit der Drachenschlucht
bei Eisenach vergleichen. In der Tat erweckt sie nur Bilder des Grausens; es
ist zu viel Bewegung in ihr enthalten, als daß sie das Gemüt heiter stimmen
könnte. Dennoch sind die Elemente der Innigkeit auch in ihr gegeben, wenn
wir sie nur erblicken wollen. Es läßt sich schon von vornherein vermuten, daß
eine so feuchte Atmosphäre eine große organische Zeugungskraft in ihrem Schoße
tragen werde, um so mehr als die Klamm trotz ihrer Enge doch einem sanften
Lichte überall Zutritt gestattet. So ist es auch. Zum ersten Male überraschen