55
Alexander war kaum zwanzig Jahre alt, als sein Vater starb.
Zuerst unterwarf er sich Griechenland und zeigte sich überall
als einen Kenner und Beschützer der Künste und Wissenschaften.
In Korinth besuchte er auch den weisen Diogenes. Der glaubte,
wie Sokrates, daß der Mensch desto glücklicher sei, je weniger er
bedürfe — ünd wohnte darum nicht in einem Hause, sondern in
einer Tonne. Der König Alexander, der von ihm gehört hatte,
ging zu ihm. Er lag gerade in seiner Tonne, um sich an der
Sonne zu wärmen. Der König dachte, er würde doch aufstehen
und ihm entgegenkommen. Aber Diogenes blieb liegen, als wenn
die Ankunft des Königs gar nichts Besonderes sei. Alexander
redete lange mit ihm, und fand seine Antworten so treffend und
geistreich, daß er freundlich zu ihm sagte: »Kann ich dir eine Gunst
erweisen?« — »Ja!« antwortete Diogenes, »tritt mir ein wenig
aus der Sonne!« Da erkannte der König, daß er eineil Mann
gefunden hatte, welcher weder Geld, noch schöne Kleider, noch
sonstige Herrlichkeiten begehrte, sondern mit Wenigem zufrieden
war; und er sagte zu den Umstehenden: »Wahrlich, wenn
ich nicht Alexander wäre, so möchte ich wohl Diogelles
sein!«
Mit glühendem Eifer begann Alexander nun die Eroberung
des persischen Reiches. Von Europa setzte er nach Asien über
den Hellespont. Hier traf er mit ben Persern am Flüßchen
Granikus zusammen. Seine Feldherren widerriethen es, im An¬
gesicht des Feindes über den Fluß zu gehen; aber Alexander ant¬
wortete: »Der Hellespont würde sich ja schämen, wenn wir dieses
Flüßchen fürchteten.« Mit diesen Worten stürzte sich der kühne
Jüngling in den Fluß; seine Macedonier folgten, und glücklich wurde
das jenseitige Ufer erreicht. Sogleich begann auch der Kampf, lind
fast hätte Alexander hier sein Leben verloren; denn zwei persische
Führer sprengten auf ihn los, hieben ihm auf den Kopf, daß der
Helm zersprang, und schon hob der eine den Arm enlpor, lim ihm
den Kopf zu spalten. Da, in bem gefährlichen Augenblicke, sprengte
Alexanders Feldherr, Klitus, herbei und schlug mit einem Streiche
dem Perser den rechten Arm herunter, so daß Schwert und Arm
zugleich herabfielen. Alexanders Leben war gerettet.
Die Eroberung Kleinasiens war die Frucht des Sieges. Im
Südosten dieser Halbinsel lag die Stadt Tarsus, welche von dem
Cydnus durchflossen wird. Hier kam Alexander bei großer Hitze,
mit Staub und Schweiß bedeckt, an. Das klare Wasser' des Flusses
lud ihn zum Bade ein. Aber kaum war er einige Minuten darin,
so überfiel ihn ein heftiges Fieber; leichenblaß und zitternd an allen
Gliedern mußte er aus dem Bade getragen werden. Die Krankheit
verschlimmerte sich bald so, daß die Aerzte ihn aufgaben, und keiner
mehr etwas verordnen wollte. Und doch war Alexanders Genesung