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Jede Pflanze mit ausdauerndem, holzigem Stamm und mit Asten,
welche durch ihre Zweige und Blätter eine Krone bilden, ist ein
Bauͤm. Bie Linde ist ein Baum und zwar ein wild wachsender
Laubholzbaum.
120. Der Schãäferjunge.
Im Siebenjährigen Kriege raubte ein russischer Soldat einem
Schaäͤferjungen einen Hammel von der Weide. Der Knabe fiel dem
Soldaten zu Füßen und bat ihn, er moͤchte ihm seinen Hammel lassen.
Umsonst; so sehr der Knabe ihn auch bat, der Soldat schleppte den
Hammel fort. Der Knabe ging zu dem Obersten des Regiments und
lagte seine Not „Kannst du mir den Dieb angeben, so soll er seinen
Lohn haben,“ sagle der Oberst. „Wenn ich ihn sehe, kenne ich ihn
gewiß wieder,“ antwortete der Knabe. „Gut, diesen Mittag ver—
sammelt sich das ganze Regiment, dann komme und zeige mir den
Dieb!“ Als nun die Soldaten alle in Reihe und Glied standen, kam
der Schäferjunge, lief hinter den Soldaten hinunter und rief auf
einmal: „Hier hab' ich den Dieb!“ „Was?“ sagte der Oberst, wie
kannst du den Dieb auf dem Rücken erkennen? Da sehen sie alle gleich
aus “ und lachte. Aber der Schäferjunge sprach: Sieht der Herr
Oberst hier den roten Strich? Der ist von meinem Rötel, womit ich
sonst die Schafe zeichne. Als der Soldat sich durch mein Flehen
nicht rühren ließ, klammerte ich mich an ihn und machte dabei den
Rötelstrich an seine Degenkoppel.“
Der Oberst wunderte sich über den Einfall des Knaben und
beschenkte ihn, daß er sein Schaf vergaß; dem Soldaten aber gab er
seinen Lohn, wie ihn ein Dieb verdient.
121. Das Hirtenbüblein.
Es war einmal ein Hirtenbübchen; das war wegen seiner weisen
Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit berühmt. Der
König hörte auch davon, glaubte es nicht und ließ das Bübchen
kommen. Da sprach er zu ihm: „Kaunst du mir auf drei Fragen,
die ich dir vorlegen will, Antwort geben, so will ich dich ansehen wie
mein eigen Kind, und du sollst bei mir in meinem königlichen Schlosse
wohnen.“ Das Büblein sprach: „Wie lauten die drei Fragen?“ Der
König sagte: „Die erste lautet; Wie viel Tropfen Wasser sind in dem
Weltmeer?“ Das Hirtenbüblein antwortete: Herr König laßt alle
Flüsse auf der Erde verstopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus
ins Meer fließt, das ich nicht erst gezählt habe, so will ich euch sagen,
wie viel Tropfen im Meere sind.“ Der König sprach: „Die andere
Frage lautet: Wie viel Sterne stehen am Himmel?“ Das Hirten—
bublein sagte: „Gebt mir einen großen Bogen weißes Papier!“ Und
da machte es mit der Feder so viel feine Punkte darauf, daß sie kaum