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Bald gelangen wir an eine der vielen Fabriken, in denen allerhand
kleine Maschinen, namentlich Webstühle, gebaut werden. Hier geht es
nicht ganz so laut zu, doch hört man das Schnurren der Räder, das
Kreischen der Drehbänke, der Eisenhobel und Bohrmaschinen und das Rasseln
der Feilen bis heraus auf die Straße. Wie der Hobel des Tischlers in
das Holz einschneidet und lockige Späne abschleißt, so wird hier vom
Eisenhobel das feste Metall bearbeitet. Mit majestätischer Ruhe verrichtet
die Maschine ihre Arbeit, und es scheint, als ob zu der gewaltigen Leistung
nicht mehr Kraft gehöre als zum Schälen eines Apfels. Die Kraft aber,
mit der hier alle Arbeiten vollbracht werden, liefert die Dampfmaschine,
die in dem nahen Maschinenhause steht und sich durch weithin vernehm—
bares Zischen verrät. Hunderte von Menschen sind in einer solchen
Maschinenbauwerkstatt tätig, und durch Hunderte von Händen muß eine
Maschine erst gehen, ehe sie fertig ist und ihrem Zwecke übergeben werden
kann. Die Gießerei liefert die groben Teile zu den Gestellen, in der
Schmiede werden die kleineren vorgearbeitet. Diese wandern hierauf in
die Hände der Maschinenschlosser, von denen sie geglättet und eingepaßt
werden; zuletzt wird alles vom Monteur zusammengesetzt.
Auf einer anderen, nach dem Güterbahnhofe führenden Straße bietet
sich unseren Blicken ein Schauspiel dar, wie wir es wohl in keiner anderen
deutschen Stadt erblicken können. Eine Lokomotive, die der Fleiß und
die Geschicklichkeit Chemnitzer Arbeiter erbaut haben, wird hinaus nach
dem Bahnhofe gefahren, von wo aus sie nach ihrem Wirkungsgebiete
befördert werden soll. Hoch oben steht sie auf einem breiten Wagen, der
unter seiner ungeheuren Last nur deshalb nicht zusammenbricht, weil er
aus plumpen, baumstarken Pfosten zusammengefügt ist. Achtzehn kräftige
Lastpferde, schwitzend und dampfend vor Anstrengung, bewegen das jetzt
noch ohnmächtige Dampfroß langsam weiter. In wenigen Wochen schon
wird es Menschen und Güter durch ferne Lande tragen und dort den
Ruf des Chemnitzer Gewerbfleißes verkünden.
Neben dem Eisen spielt die Baumwolle in Chemnitz die wichtigste
Rolle, und ihre Bearbeitung hat der Stadt die Bezeichnung „sächsisches
Manchester“ eingetragen. In der Nähe des Bahnhofes steht ein stattliches,
vielstöckiges Gebäude, die Aktienspinnerei, in welcher an 70000 Spindeln
im Gange sind. Hier wird mit Hilfe der Dampfkraft und unter Ver—
wendung feinster Mechanik aus der rohen Baumwolle der glatte und reine
Garnfaden hergestellt. Die Aufgabe der zahlreichen Arbeiter und Arbeiterinnen
besteht nur darin, etwaige Unregelmäßigkeiten im Gange der Maschinen zu
beseitigen und die fertigen Waren abzunehmen. Aus dieser Spinnerei und
vielen anderen im Zschopau- und Flöhatale beziehen die mechanischen
Webereien von Chemnitz, Zschopau, Glauchau, Meerane, Reichenbach und
anderen Fabrikorten ihre Garne zur Herstellung von allerhand Geweben,
die in Millionen von Ballen dem In- und Auslande zugeführt werden.
Neben der Weberei ist es die Strumpfwirkerei, die ebenfalls in
Chemnitz ihren Hauptsitz hat, jedoch auch in den umliegenden großen
Dörfern und in den Städten Limbach, Stollberg und Hohenstein-Ernstthal
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