Full text: Realienbuch (Teil 2)

I 
(beschichte. 
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Da jeder Bauer, der an einem Kreuzzuge teilnahm, frei wurde, nahm die Zahl der 
Leibeigenen sehr ab. viele jüngere Leute wanderten in die Slawenländer östlich der Elbe. 
Andre gingen in die Städte, wo sie sich hinter dem pfahlwerk der Befestigung (S. 42) nieder¬ 
lassen durften, wurden sie nicht von ihren Herren gefunden und zurückgefordert, so waren 
sie nach Jahr und Tag frei („Pfahlbürger"). Infolgedessen entstand auf dem Lande Mangel 
an Arbeitskräften Die Grundherren gaben daher den Bauern, um sie zu behalten, die Zins- 
güter in erbliche Pacht. Die Arbeiten für die Gutsherrschaft, die „Fronden", waren gering. 
In manchen Gegenden brauchten die Bauern nur Wege und Brücken instandzuhalten. An 
den zahlreichen kirchlichen Festen herrschte lustiges Leben in den Dörfern, und die jungen 
Leute tanzten fröhlich unter der Dorflinde. Die Kleidung der Bauern wurde reicher, und 
mehrfach mußte ihnen das Tragen ritterlicher Waffen verboten werden. 
2. Niedergang. Um das Jahr 1300 hörten die Kreuzzüge auf. Auch die Be- 
fiedelung der östlichen Länder kam zum Stillstand, Da blieben die deutschen Bauern¬ 
söhne in ihrer Heimat. So 
geschah es, daß das Ackerland 
für die Bevölkerung bald nicht 
mehr ausreichte, viele Bauern 
gingen daher wieder auf die 
Güter der Bitter und der Klö¬ 
ster, um dort Arbeit und Unter¬ 
halt zu suchen. Der ärmer und 
roher werdende Adel vermehrte 
die Abgaben und Fronden will¬ 
kürlich. Nicht selten nahmen 
die Bitter die Zinsgüter der 
Bauern unter nichtigen Vor¬ 
wänden ganz an sich („Bauern¬ 
legen"). Auch an die Kirche 
und den Landesherrn hatte der 
Bauer schwere Abgaben zu ent-1 
richten. Er wurde zu den Jag¬ 
den seines Herrn als Treiber 
aufgeboten und mußte die Hunde unterhalten, lvenn aber das kvild seine mühsam be¬ 
stellten Acker verwüstete, durfte er es bei schweren Strafen nicht töten. Damit der Bauer 
jedoch sein Land nicht verlassen sollte, untersagte man den,Städten, Pfahlbürger auf¬ 
zunehmen. Befolgt wurde das verbot freilich nur selten. 
3. Die freien Dauern. In den Bergen der Schweiz, an der Nordsee bei den Friesen und 
in Westfalen hatten sich freie Bauern erhalten. Sie saßen noch auf eigenem Besitz und hatten 
Wald und wild, Wasser und weide gemeinsam. Sie duldeten keinen Herrn über sich und 
leisteten niemandem Fronden und Abgaben. Mehrmals versuchten benachbarte mächtige 
Fürsten, sie zinsbar zu machen; aber sie verteidigten tapfer ihre alte Freiheit und schlugen die 
Mtterheere, die gegen sie ausgesandt wurden. 
4. Die heilige Feme. während sonst überall im Beiche im Namen der weltlichen 
und geistlichen Fürsten Becht gesprochen wurde, erhielten sich unter den freien Bauern West¬ 
falens die uralten königlichen Volksgerichte. Sie beruhten noch auf der früheren Gaueinteilung 
(vgl. 5.13, 3 u. 18). Da es ein allgemeines deutsches Gericht nicht gab und im Beiche (Ordnung 
und Sicherheit immer mehr schwanden, dehnte dieses Freigericht seine Wirksamkeit nach und 
nach über ganz Deutschland aus. Man nannte es die „heilige Feme". Freischöffe konnte 
Bäuerin und Bauer (um 1500) nach A. Dürer.
	        
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