Full text: Für die unteren Klassen höherer Lehranstalten, den Lehrplänen entsprechend (Teil 1, [Schülerband])

450 
Achte Abteilung. 
3 Willst du nicht der Vlümlein warten, 
Die im Beete freundlich stehn? 
Draußen ladet dich kein Garten; 
Wild ist's auf den wilden Höh'n! 
„Laß die Vlümlein, laß sie blühen! 
Mutter, Mutter, laß mich ziehen!" 
4 Und der Knabe ging zu jagen, 
Und es treibt und reißt ihn fort, 
Rastlos fort mit blindem Wagen 
An des Berges finstern Ort; 
Vor ihm her mit Windesschnelle 
Flieht die zitternde Gazelle. 
5 Aus der Felsen nackte Rippen 
Klettert sie mit leichtem Schwung; 
Durch den Riß gespaltner Klippen 
Trägt sie der gewagte Sprung; 
Aber hinter ihr verwogen 
Folgt er mit dem Todesbogen. 
6 Jetzo auf den schroffen Zinken 
Hängt sie, auf dem höchsten Grat, 
Wo die Felsen jäh versinken, 
Und verschwunden ist der Pfad; 
Unter sich die steile Höhe, 
Hinter sich des Feindes Nähe. 
7 Mit des Jammers stummen Blicken 
Fleht sie zu dem harten Mann; 
Fleht umsonst, denn loszudrücken, 
Legt er schon den Bogen an. 
Plötzlich aus der Felsenspalte 
Tritt der Geist, der Bergesalte. 
8 Und mit seinen Götterhänden 
Schützt er das gequälte Tier. 
„Mußt du Tod und Jammer senden, 
Ruft er, bis herauf zu mir? 
Raum für alle hat die Erde; 
Was verfolgst du meine Herde?" 
141. Das Schwert. 
L. Uhiand, Gedichte. 54. Aufl. Stuttgart 1869. S. 329. 
1 Zur Schmiede ging ein junger Held; 
Er hatt' ein gutes Schwert bestellt; 
Doch als er's wog in freier Hand, 
Das Schwert er viel zu schwer erfand. 
2 Der alte Schmied den Bart sich streicht: 
„Das Schwert ist nicht zu schwer, noch 
leicht; 
Zu schwach ist Euer Arm, ich mein'; 
Doch morgen soll geholfen sein." — 
3 „Rein heut, bei aller Ritterschaft, 
Durch meine, nicht durch Feuers Kraft!" 
Der Jüngling spricht's, ihn Kraft 
durchdringt, 
Das Schwert er hoch in Lüften schwingt. 
142. Jung Siegfried. 
L. Uhland, Gedichte. 54. Aufl. Stuttgart 1869. S. 330. 
1 Jung Siegfried war ein stolzer Knab', 
Ging von des Vaters Burg herab. 
2 Wollt' rasten nicht in Vaters Haus, 
Wollt' wandern in alle Welt hinaus. 
3 Begegnet' ihm manch Ritter wert 
Mit festem Schild und breitem Schwert. 
4 Siegfried nur einen Stecken trug; 
Das war ihm bitter und leid genug. 
5 Und als er ging im finstern Wald, 
Kam er zu einer Schmiede bald. 
6 Da sah er Eisen und Stahl genug; 
Ein lustig Feuer Flammen schlug.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.