Full text: Realienbuch (Teil 3)

Geschichte 
Die älteste Gottheit aller deutschen Stämme war der strahlende himmelsgott 
Tiu, an den heute noch der Diensstag erinnert. Man dachte sich ihn als einen ein— 
armigen Mann von schrecklichem Aussehen, dessen Anblick niemand zu ertragen ver— 
mochte. Er trug als Waffe ein blitzendes Schwert, galt als Lenker der Schlachten und 
als Schützer des Kechts. Nach siegreichen Kämpfen wurden ihm nicht selten die Ge— 
fangenen geopfert. In Niederdeutschland nannte man ihn auch „Sachsnot“ oder „Er“. 
Am Tage der Sommersonnenwende (21. Juni) brannte man ihm zu Ehren auf 
den Bergen Freudenfeuer an. Man schwenkte dabei brennende Keisigbüsche schnell im 
Kreise herum, so daß ein feuriges Rad, eine Sonne, entstand. En manchen Gegenden 
Deutschlands hat sich diese Sitte bis auf den heutigen Tag erhalten) Fröhliche Ge— 
lage beschlossen das Fest. 
In späterer Zeit galt als der höchste der Götter der Allvater Wodan. Er 
hatte den himmel und die Erde, sowie die andern Götter und die Menschen ge— 
schaffen. Er führte das ungeheure heer der abgeschiedenen Seelen und machte, be— 
kleidet mit weitem, wehendem Mantel und mit dem Wolkenhute auf dem haupte, 
als Windgott Getreide und Obstbäume fruchtbar. In hohen, weit sichtbaren Bergen 
hielt er sich mit Vorliebe auf. Vielerlei geheimnisvolles Wissen und zauberhafte Kenntnisse 
teilte er denen mit, die von ihm auserwählt waren. Wenn in den Urwäldern der Sturm— 
wind brauste, so meinte man, Wodan reite auf seinem achtfüßigen Rosse mit dem immer— 
treffenden Wurfspieße in der Hand durch die Luft (Sage vom wilden Jäger!). Der 
Wolf und der Kabe, sowie die Esche, aus der man die Speere anfertigte, waren ihm heilig. 
Man opferte ihm auf hohen Bergen Kosse, deren Fleisch man dann verzehrte. Die 
Pferdeschädel nagelte man an die Bäume und an die Giebel der häuser. In einigen 
Gegenden Niederdeutschlands nennt man den Mittwoch noch heute „Gunstag“, d. h. 
Wodanstag. Die im Kampfe gefallenen helden wurden von den Schlachtjungfrauen, den 
Walküren, zu Wodan in die Götterburg Walhalla gebracht. hier fand ein fröhliches 
Sortleben statt, bei dem Kampf und heitere Gelage abwechselten. Wer aber auf dem 
Krankenbette starb, kam in das finstere Reich der bleichwangigen hel. 
Die Gemahlin Wodans war die flachshaarige Frija, die Göttin der Fruchtbarkeit 
der Erde und die Schützerin der Ehe. Mit der Spindel in der hand fuhr sie durch das 
Land und segnete die Arbeiten der Frauen. Ihr war der Freitag geweiht. 
Bei manchen Stämmen wurde der Gott Donar hoch verehrt, nach dem der Donners— 
tag seinen Namen hat. Er war ein junger, riesenhafter Mann mit langem, rotem 
Barte und trug einen großen hammer in der rechten hand. Wenn er zornig blickte, so 
blitzte es, und wenn er in seinen Bart blies, entstand großer Sturm. Fuhr er mit 
seinem Bocksgespann über die Wolken, dann rollte der Donner. Den Menschen, be— 
sonders den Landleuten, erwies er viele Wohltaten. Er wendete von ihnen und ihren 
Viehherden Krankheiten ab und sandte den Saaten erquickenden Regen. 
In den Bergen hausten Zwerge, die die Erdschätze bewachten; in den Gewässern 
wohnten Nixen, in Wald und Feld Elfen. 
Gleich den Menschen waren aber auch die Götter sündhaft und mußten unter— 
gehen. Nach dem Götterende entstand ein schönerer himmel und eine schönere Erde, 
auf der es kein Leid und keine Schuld gab— 
12. Gefolgschaften. Wenn ein angesehener Edeling einen Kriegszug unternehmen 
wollte, kamen aus verschiedenen Stämmen kriegslustige Männer herbei, um ihn frei— 
willig zu begleiten. Sie schwuren ihm den Eid der Treue, und es galt ihnen als
	        
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