430
den Großen angenommen und sie ließen dieselben als richtig gelten, obgleich sie
sich wohl verwahrten, daß sie nicht etwa pracktisch geltend gemacht würde. So
gingen die Herren mit dem Beispiele der Verachtung der Religion und bürger¬
lichen Ordnung voran und so wurde der Glaube allgemein: Wie es jetzt in der
Welt eingerichtet ist, gebt gegen Vernunft und Natur; wer klug ist. beutet
die Dummheit der anderen aus; am ärgsten sind freilich die daran, welche zu¬
gleich die Narren und Lastthiere der Großen sind." Der Unglaube ist aber ein
trauriger Glaube, und wenn das Herz des Menschen der höheren Gedanken be¬
raubt ist, muß es sich mit Begierden und Lüsten füllen. In Frankreich war
das Uebel am ärgsten, daher brach auch das Gewitter in diesem Lande los,
welches den unschuldigen König Ludwig XVI. traf.
Drilles Kapitel.
Die Nationalversammlung 5. $)lai 1189.
König Ludwig XVI. hatte den besten Willen, die Lasten seines Volkes
zu vermindern, aber er wurde durch die Großen allemal wieder umgestimmt,
wenn er auf den Rath eines tüchtigen Ministers eingehen wollte. So ging
es mit den Vorschlägen des Finanzministers Necker, eines gebornen Gen¬
fers, und dieser wurde sogar seines Dienstes entlassen und durch de Calonne
ersetzt, welcher die alte Schuldenmasse noch vergrößerte. Die Stimme des
Volkes galt bereits so viel, daß ver König seine verschwenderischen Minister
fallen ließ und 1788 den verbannten Necker wieder zurückrief. Dieser be¬
wog den König, auf den 5. Mai 1789 eine Nationalversammlung einznbe-
rufen, zum erstenmal wieder seit mehr als 100 Jahren. Da erschienen 300
Adelige, 300 Geistliche und 600 Abgeordnete des dritten Standes und der
König sprach seinen aufrichtigen Wunsch aus, das Wohl Frankreichs durch die
Mitwirkung der Versammlung neu zu begründen. „Alles, was man von der
innigsten Theilnahme am öffentlichen Wohle erwarten darf, alles, was von
einem Herrscher, seiner Völker erstem Freunde, verlangt werden kann, dürfen
Sie von meinen Gesinnungen erwarten. Möge ein glücklicher Einklang in
dieser Versammlung herrschen und dieser Zeitpunkt auf immer denkwürdig für