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du wohl zu thun, du wachst ja noch mit dem andern, und der
kleine Bösewicht soll nicht aus seinem Loch heraus." Also
that sie das eine Auge zu und schaute mit dem andern steif
auf das Mäuseloch. Der kleine Kerl guckte mit dem Kopfe
heraus und wollte wegwitschen; aber die Eule trat gleich da¬
vor, und er zog den Kopf wieder zurück. Dann that die Eule
das eine Auge wieder auf und das andere zu, und wollte so
die ganze Nacht abwechseln. Aber als sie das eine Auge
wieder zu machte, vergass sie, das andere aufzuthun, und so¬
bald die beiden Augen zu waren, schlief sie ein. Der Kleine
merkte das bald und schlüpfte weg.
Von der Zeit an darf sich die Eule nicht mehr am Tage
sehen lassen, sonst sind die Vögel hinter ihr her und zerzausen
ihr das Fell. Sie fliegt nur zur Nachtzeit aus, hasst aber und
verfolgt die Mäuse, weil sie solche böse Löcher machen. Auch
der kleine Vogel lässt sich nicht gern sehen, weil er fürchtet,
es gehe ihm an den Kragen, wenn er erwischt werde. Et
schlüpft in den Zäunen herum, und wenn er ganz sicher ist,
ruft er zuweilen: „König bün ick!" und deshalb nennen ihn die
andern Vögel aus Spott Zaunkönig.
(Gebrüder Grimm.)
71. Die Elster und der Kiebitz.
Unter den Rabenarten ist keine so schön geschmückt, als die
Elster; denn neben schwarzen nnd weißen Federn besitzt sie auch
grüne, violett und blau schillernde, namentlich auf dem Rücken, in
den Flügeln und in dem langen, keilförmigen Schwänze. Der
Schnabel ist stark und am Grunde mit vonvärts gerichteten Borsteir-
federn besetzt.
Sie Hält sich am liebsten in größeren Baumgärten in der Nähe
menschlicher Wohnungen auf und durchstreift von da aus die nächste
Umgegend. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Insekten und
Würmern, doch verzehrt sie auch Mäuse und verfolgt mit großer
Begier die kleinen Singvögel und deren Junge. Will inan daher
den Gesang der Vögel und ihre Hülfe beim Wegfangen der Raupen
nicht entbehren, so muß man dafür sorgen, daß sich die Elstern nicht
zu stark vermehren.
Junge Elstern lassen sich leicht zähmen und lernen Worte
nachsprechen. Wegen ihrer Neigung, glänzende Dinge zu verstecken,
ist es aber nicht sehr ratsam, sie im Hause zu halten, wie folgende
Geschichte beweist.
In dem Hause eines Bürgers zu Paris, in dem eine Elster
frei umher lief, kam kurz hintereinander viel Silberzeug weg. Der
Verdacht fiel auf die Magd im Hause, und der Mann war so er¬
zürnt, daß er diese dem Gericht übergab. Da sie leugnete, wurde
sie nach damaliger Sitte auf die Tortur gebracht, und gestand hier,
um von den unerträglichen Qualen befreit zu werden, das an-
Schraep, Lese- und Lehrbuch II., 2. 5