Full text: Anschaulich-ausführliches Realienbuch

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„Laß uns das lebende Kind behalten und das tote in den Kleidern des Fürsten— 
kindes begraben!“ So geschah es. Der Knabe wurde später Cyrus genannt. 
2. Cyrus als Knabe. Als Cyrus 10 Jahre alt war, spielten die Knaben 
des Dorfes mit ihm und ernannten ihn zu ihrem Könige. Einer aber der Spiel— 
genossen, der Sohn eines vornehmen Meders, wollte ihm nicht gehorchen. Da 
machte Cyrus Gebrauch von seinem Königsrechte und peitschte den Ungehorsamen. 
Dieser aber lief weinend zu seinem Vater, der sich darauf mit einer Klage an 
den König Astyages wandte. Jetzt wurde Cyrus zum Könige gerufen, um sich zu 
verantworten. Cyrus sprach: „Ich war zum Könige gewählt; er wollte mir nicht 
gehorchen, darum strafte ich ihn. Habe ich unrecht getan, wohlan, ich stehe 
hier.“ Verwundert blickte ihn der König an und erkannte in ihm bald das Eben— 
bild seiner Tochter. Er forschte bei dem Hirten nach dem Knaben und hatte es 
bald heraus, daß Cyrus sein Enkel war. Da fiel ihm sein Traum wieder ein. Die 
Magier aber beruhigten ihn und sagten, der Traum habe sich bereits dadurch er— 
füllt, daß Cyrus im Spiele König gewesen sei. So ließ Astyages den Knaben 
leben, nahm aber än Harpagus furchtbare Rache. Er lud ihn zur Abendtafel, ließ 
heimlich das Söhnchen desselben töten und setzte dessen Fleisch dem Vater vor. Als 
dieser gegessen hatte, zeigte ihm Astyages des Knaben Kopf und Füße in einem Korbe 
und sprach: „So straft der König den Ungehorsam seiner Diener.“ 
3. Cyrus wird König. Cyrus wurde nun wieder zu seinen Eltern geschickt. 
Als er zu einem kräftigen Jünglinge herangewachsen war, schickte ihm Harpagus 
durch einen Diener einen Hasen zum Geschenk. In dem Bauche des Hasen hatte 
er einen Brief verborgen, worin er ihn aufforderte, seinen Großvater vom Throne 
zu stoßen. Cyrus rief die Perser zu sich und ließ sie erst mit sauerm Schweiße ein 
Feld von Dornen und Disteln reinigen. Am nächsten Tage lud er sie zum frohen 
Mahle. Dann fragte er sie: „Welcher Tag von beiden hat euch am besten ge— 
fallen?“ „Der heutige!“ war die Antwort. Darauf fuhr er fort: „Solch einen Tag 
wie heute sollt ihr immer haben, wenn ihr mir helft, das Joch der Meder ab— 
zuschütteln.“ Die Perser waren dazu bereit, und Cyrus führte sie nun nach Medien. 
Der König schickte ihnen Harpagus mit einem Heere entgegen. Dieser aber ging 
zu den Persern über, und Astyages wurde geschlagen und gefangen genommen. 
Cyrus aber ward König, und so ging die Herrschaft der Meder an die Perser über. 
4. Krösus und Solon. Im westlichen Kleinasien lag das Reich Lydien 
mit der Hauptstadt Sardes. Hier wohnte um die Zeit, als Cyrus in Medien 
herrschte, ein König mit Namen Krösus. Er war unermeßlich reich und hatte 
so viel Geld, daß er es nicht zählen konnte. Einst besuchte ihn, so erzählt die 
Sage, ein weiser Mann aus Athen, namens Solon (S. XII). Diesen fuhrte 
er durch seine Schatzkammern und zeigte ihm alle seine Reichtümer. Dabei ent— 
spann sich zwischen beiden folgendes Gespräch: Krösus: „Wen hältst du für den 
Glücklichsten der Sterblichen?“ Solon: „Den Athener Tellus!“ Krösus: „Und 
warum?“ Solon: „Weil er wohlgeratene Söhne und Enkel gehabt hat und nach 
einem glücklichen Leben im Kampfe für sein Vaterland gefullen ist. rösus 
„Und wen hältst du nach ihm für den Glücklichsten?“ Solon: „Kléobis und Biton.“ 
„Und warum?“ „Sie waren zwei wackere Söhne einer Priesterin, die Freude und 
der Stolz ihrer Mutter. Einst wollte diese zum Opfer in den Tempel fahren. 
Als aber die Stiere ausblieben, die den Wagen ziehen sollten, spannten sich die 
Jünglinge selbst vor den Wagen und zogen ihn in den Tempel. Zum Lohne 
dafür erflehte die Priesterin von den Göttern, ihren Söhnen das Beste zu schenken, 
was es nur für den Menschen gäbe. Da entschliefen die Söhne im Tempel und 
erwachten nicht wieder.“ Krösus: „Achtest du denn aber mich und alle meine 
Schätze für nichts?“ Solon: „Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen!“
	        
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