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jetzt soll er erst recht anfangen.“ So mußte sich denn Napoleon Mitte Oktober
zum Rückzuge entschließen. Anfänglich war die Witterung noch längere Zeit
milde, aber im Heere herrschte bereits die größte Unordnung, die vor allem durch
die Zuchtlosigkeit und das liederliche Wesen der Soldaten hervorgerufen wurde.
Ihren höchsten Grad erreichte aber die Not, als das Wetter umschlug und der
Mangel an Lebensmitteln sich einstellte. Im Dezember stieg die Kälte bis auf
27 Grad, und hoher Schnee bedeckte Weg und Steg. Die Soldaten hatten kein
Brot und verzehrten die gefallenen Pferde mit Heißhunger. Ihre Schuhe und
Stiefel waren zerrissen; die Füße wurden mit Lumpen umwickelt; viele hinkten
oder gingen auf Krücken. Ganze Haufen lagen am Morgen tot um die er—
loschenen Wachtfeuer. Tag und Nacht umschwärmten Kosaken die Fliehenden, und
Tausende fielen in ihre Hände.
Das Schrecklichste auf dem Rückzuge war der Übergang über die Beresina. Mit
vieler Mühe baute man 2 Brücken über den Fluß, aber nur langsam konnte die Menschen—
menge hinüber. Da, am dritten Tage, erschienen die Russen mit Kanonen und beschossen
die Brücken. Nun stürzte alles, was noch auf jener Seite war, auf die Brücken zu. Es
entstand ein furchtbares Gedränge. Plötzlich brach die eine Brücke. Die Soldaten hinten
wußten nichts davon und drängten die vorderen mit Gewalt in den Fluß hinein. Als
man das Unglück entdeckte, stürzte der Menschenschwarm sich auf die andere Brücke. Wagen,
Pferde und Menschen lagen hier über- und untereinander. Die nachfolgenden Truppen
kletterten über die am Boden liegenden hinweg, und Tausende stürzten in den Fluß. Als
Napoleon mit dem Hauptheere hinüber war, wurde die Brücke abgebrochen. Wer noch
drüben war, fiel den Russen in die Hände.
Von der großen Armee erreichten nur etwa 30000 Mann, halb erfroren
und verhungert, die polnische Grenze.
5. York. Der General York hatte den Oberbefehl über das 20000 Mann
starke Hilfeheer, das Preußen dem Kaiser Napoleon hatte stellen müssen. Er
war dem Marschall Macdonald untergeordnet worden, dessen Gesamtmacht den
linken Flügel des französischen Heeres bildete. Als York die Nachricht von dem
schmählichen Ende des französischen Hauptheeres erfuhr, erfüllte Freude seine
Brust. Nur mit Widerwillen hatte er für die Sache der Franzosen gekämpft.
Jetzt hielt es ihn nicht länger. Als er am Weihnachtsabend mit dem russischen
General Diebitsch zusammenstieß, trat er mit diesem in Unterhandlungen, die damit
endeten, daß York sich von den Franzosen trennte. Seine Offiziere jubelten ihm
infolge dieses Beschlusses zu. Er aber sagte ernst: „Ihr habt gut reden, ihr
jungen Leute, aber mir Altem wackelt der Kopf auf den Schultern.“ Dann zeigte
er dem Kbnige von Preußen seinen Entschluß an und schrieb dabei: „Ew. Majestät
lege ich willig meinen Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben sollte. Ich würde
mit der freudigen Beruhigung sterben, wenigstens nicht als treuer Untertan und
wahrer Preuße gefehlt zu haben.“
Als der König diesen Brief empfing, soll er ausgerufen haben: „Da möchte einen
ja der Schlag treffen!“ York wurde seines Kommandos entsetzt. Der Adjutant aber, der
ihm diesen Befehl überbringen sollte, wurde von den Russen aufgefangen und festgehalten,
und so blieb York auf seinem Posten. — Der König verlegte bald darauf seine Residenz
nach Breslau.
ĩ. Die Freiheilskriege.
1. Erhebuung. Jetzt schien die Zeit gekommen, das Joch Frankreichs ab—
uen das fühlte jeder. Auch der König faßte Mut und erklärte, nachdem
er sich mit Rußland verbündet hatte, 1813 an Frankreich den Krieg. Am Tage