(209) M. Lindeman u. 0. Finsch, DeutselieNordpolai-fahrti.d.J. 1869u.70.205
90. Die deutsche Nordpolarfahrt in den Jahren 1869
und 1870.
Nach M. Lindeman und 0. Finsch, Die zweite deutsche Nordpolarfahrt.
1.
Die rühmlichst bekannte deutsche Nordpolarexpedition, die im
Jahre 1869 von Bremen aus auf den beiden Schiffen „Germania“
und „Hansa“ unter Führung des Kapitäns Koldewey unternommen
wurde, war in mehrfacher Beziehung ein wichtiges Ereignis.
Deutschland, dessen Handelsflotten seit Jahrhunderten die fernsten
Meere durchfurchten, dessen Matrosen überall im Auslande wegen
ihrer trefflichen Eigenschaften gesucht und geschätzt wurden, wollte
hier seine maritime Tüchtigkeit auch durch wissenschaftliche Leistungen
bewähren. Es war ferner ein nationales Unternehmen, das die im
Norddeutschen Bunde jüngst vereinigten Stämme mit ihren herzlichsten
Wünschen und Hoffnungen begleiteten; lichteten doch die beiden
Schiffe in Bremerhaven am 15. Juni 1869 in Gegenwart des Königs
von Preußen, des Grafen Bismarck, des Generals von Moltke ihre
Anker „zur Ehre des Vaterlands, zur Ehre der jungen deutschen
Flagge, zur Ehre deutscher Wissenschaft und Seefahrt“, wie der Vor¬
sitzende des Bremer Komitees beim Abschiede sagte.
Schon am 20. Juli — auf der Reise nach der Ostküste Grön¬
lands — verlor das Begleitschiff „Hansa“ bei schlechtem Wetter
und störendem Treibeis den Dampfer „Germania“ aus Sicht und sah
ihn nie wieder; dieser dagegen gelangte glücklich zu dem für die
Landung bestimmten Ziele, der Sabine-Insel, die unter 74 l/2° nörd¬
licher Breite an der Küste Ostgrönlands zu finden ist. Nachdem dort
die „Germania“ an einer günstigen Stelle festgelegt und als Winter¬
haus eingerichtet worden war, unternahm die Bemannung — Ge¬
lehrte und Seeleute — allerlei Schlittenreisen zu Entdeckungen und
wissenschaftlichen Beobachtungen und gelangte dabei bis zum 77°
nördlicher Breite. Dagegen hatte die „Hansa“ ein trübes Geschick.
Durch Wind und Strömung war sie südlicher getrieben als das Haupt¬
schiff, und da sie des Eises wegen die Küste nicht zu erreichen ver¬
mochte, fror sie mitten im Meere ein; schwere Eispressungen machten
das Fahrzeug leck, es versank, während die Mannschaft sich und
einen Teil der Vorräte auf ein Eisfeld rettete und auf dieser aller¬
dings umfangreichen Eisscholle eine abenteuerliche, gefahrvolle und
entbehrungsreiche Reise südwärts antrat; diese währte vom Oktober
1869 bis zum Juni 1870, bis endlich im südlichen Grönland — in
der Herrnhutermission Friedrichstal — Land und Menschen erreicht
wurden. Über Kopenhagen kehrten die wackeren Männer, ohne ihr