Full text: Realienbuch für Berlin und Vororte

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schaffen, führte Fürst Bismarck 1879 Schutzzölle (Industrie- und Getreidezölle) ein. 
Nun trat die Industrie, die durch die Anwendung der Dampfkraft und der 
Elektrizität einen gewaltigen Aufschwung erfuhr, in erfolgreichen Wettbewerb mit 
der englischen Industrie, die so lange fast allein den Weltmarkt beherrscht hatte. 
4 Sorge kür die Arbeiter. Der Ausbreitung der Maschinenarbeit und der 
Fabriken hafteten mancherlei Schäden an. Das Handwerk wurde auf vielen Gebieten 
'verdrängt, wodurch die früher selbständigen Handwerker zu unselbständigen Fabrik¬ 
arbeitern herabsanken. Als solche gerieten sie mit den Ihrigen leicht in Not, wenn 
sie durch Krankheit, Unfall oder hohes Alter erwerbsunfähig wurden. Kaiser Wilhelm 
und seine Ratgeber suchten deshalb die Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern. 
Die Frauen- und Kinderarbeit wurde eingeschränkt und die Anstellung von Fabrik- 
17. inspektoren zur Beaufsichtigung der Fabrikbetriebe angeordnet. Am 17. November 
iggs 1881 verlas Fürst Bismarck im deutschen Reichstag eine Kaiserliche Botschaft, 
welche anssprach, daß die Arbeiter ein Recht auf den Beistand des Staates haben, 
und den Reichstag aufforderte, ihnen diesen Beistand gesetzlich zu gewähren. Nun 
kamen Gesetze zustande, durch die das Deutsche Reich allen anderen Staaten in 
der Fürsorge für den Arbeiterstand vorangeschritten ist. Zunächst traten in Kraft 
^3 has Krankcnvcrsichcrnttgsgesctz (1883) und das Unfallversicherungsgesch (1884). 
Auch die Einrichtung einer Alters- und Invalidenversicherung hat Kaiser 
Wilhelm I. geplant, aber nicht mehr erlebt. Durch diese Gesetze zwingt der Staat 
a) die wirtschaftlich stärkere Klasse (die Arbeitgeber) zu Opfern, welche der Arbeiter¬ 
klasse zugute kommen, b) die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die schwachen Kräfte 
der Einzelnen in Genossenschaften zu vereinigen; diese gewähren dem notleidenden, 
für sich hilflosen Einzelnen Hilfe und Stütze. (S. 126.) 
5. Berlin entwickelte sich während der Regierung Wilhelms I. zur Weltstadt; die 
Einwohnerzahl betrug 1861 500000 und 1888 1500000. 1871 wurde Berlin kaiserliche 
Residenz und Hauptstadt des Deutschen Reiches. Zahlreiche öffentliche Bauten 
wurden errichtet: das neue Rathaus, die Börse, das Generalstabsgebäude, die National¬ 
galerie, das Museum für Völkerkunde, das Gewerbemuseum, die Museen in der Jnva- 
lidenstraße, die Technische Hochschule zu Charlottenburg, das Polizeigebäude am Alexander¬ 
platz, der Zentralschlachlhof, die Markthallen, die Stadtbahn. Der Bau des Reichstags¬ 
hauses wurde begonnen. Der Königin Luise und den Dichtern Goethe und Lessing wurden 
im Tiergarten Denkmäler errichtet. 
6. Kaiser Wilhelms I. Persönlichkeit nnd Tod. 
1. Aersönlickrkeil. Kaiser Wilhelm war von hoher, edler Gestalt und ver¬ 
einigte mit einem echt königlichen Wesen Einfachheit, Milde und Leutseligkeit. Er 
hatte ein kindlich frommes Herz; das Glück hatte ihn nicht übermütig, der Ruhm 
nicht stolz gemacht. Bis in sein hohes Alter erledigte er alle Regierungsgeschüfte 
mit der größten Gewissenhaftigkeit. Sein Wahlspruch war: „Gott mit uns!" 
M^rz 2- ^od‘ Am 9. März 1888 starb Kaiser Wilhelm im Alter von fast 
1fc88 91 Jahren. Eine Erkältung warf ihn auf das Kranken- und Sterbebett. Ihm 
zur Seite saß die Kaiserin; Prinz Wilhelm und die übrigen Mitglieder der könig¬ 
lichen Familie sowie Bismarck, Moltke u. a. umstanden das Sterbebett. Als ihn 
seine Tochter Luise fragte: „Bist du müde, Vater?" entgegnete er flüsternd: „Ich 
habe keine Zeit, müde zu sein!" Gegen 8^/2 Uhr morgens entschlummerte er.
	        
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