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Christ, der auch denjenigen, welcher im Leben nichts anderes sieht, als
die süße Gewohnheit des heiteren Daseins, ab und zu nötigt, eine
Weile über Zeit und Ewigkeit nachzudenken. Hier hat sich die Natur
eingemietet. Aus ihrem weiten Reiche holt der Dichter Blumen und
Vogel hervor und mahnt nns durch sie:
Sieh nur die Lilien an,
Wer hat sie angethan
Mit solcher Zier?
Gott webt zu aller Zeit
Ihnen das Feierkleid.
Webt es auch dir.
Nimm doch der Vöglein wahr,
Die, aller Sorgen bar,
So fröhlich sind.
Gott nährt sie spät und früh;
Bist du nicht mehr, als sie.
Nicht Gottes Kind?
Dort hat er dem Vaterlande einen Altar gebaut. Mit ganz
Deutschland klagt und bittet er, als Barbarossa nach hundertjährigem
Schlafe immer wieder sieht, daß die Raben noch um den Kyffhänser
kreisen, und mit dem Zwerge traurig sich wieder am steinernen Tische
niederläßt.
Aber in den Kampf- und Siegesgedichten braust nns der Wieder¬
hall entgegen, welchen der Donner der Kanonen um Metz und bei
Sedan und das Viktoria der Trompeten auch an den Köstritzer Bergen
wach gerufen hat. Weil Sturm ein Mensch ist mit einem warmen
Herzen, so ist ihm alles, was menschlich ist, nicht fremd. Mit eben
so viel Zartheit wie Innigkeit führt er uns in alle rein menschlichen
Lagen und Verhältnisse ein. Wie weiß er doch unser Mitgefühl zu
wecken für „die alte Jungfer", welche nach Sonnenuntergang den
blühenden Rosenstock auf das Grab des längst Heimgegangenen Bräuti¬
gams trügt und nach der Rückkehr erst mit wunderbar leuchtenden
Augen und dann mit heißen Thränen vor seinem verblichen Bilde
steht! Wir empfinden die Freude, welche „die junge Mutter" beseligt,
als sie dem meinenden Liebling Lied um Lied in immer süßeren Weisen
vorsingt, bis der Schlummer seine Zauberkreise um das Bettchen zieht.
Aus ganzem Herzen sprechen wir Amen zu der „Bitte" des
Gatten, welcher heute mit der blühenden Mutter sich freut über das
höchste Glück, das ihnen der Herr in dem erstgeborenen Kinde beschieden
hat, aber nach wenigen Tagen ihr in das Grab nachruft:
O bitte Gott um Segen für uns beide,
Das; ich getrost voran dem Knaben schreite
Und er durch mich den Weg zur Mutter sinde.
Mehr, als der Lorbeerkranz die Stirne der alten Dichter geziert
hat, schmückt Sturm die Frömmigkeit und die Demut. Jene klingt
durch alle seine Lieder hindurch und läßt ihn in der Natur den
Spiegel der Güte Gottes, in der Geschichte die Gerechtigkeit des
Weltenrichters, in der Führung des Menschen die erziehende Gnade
des Vaters erkennen. Diese erinnert ihn an die Quelle und an das
Maß seiner Kraft und drängt ihn, obwohl „der eigenen Würde sich
bewußt", doch zu dem Selbstbekenntnisse:
Ich bin die Harfe, die erbebt, wenn Gott sie tönen heißt.
Und was in meinem Liede lebt, ist Geist von seinem Geist.