Full text: Deutsches Lesebuch für einfache Schulverhältnisse

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gemachter Blumen. Im Munde führte er die kurze Tabakspfeife, in der Hand 
die Peitsche. War alles in gehörigem Gang, so hing er die Zügel an den 
Wagen und schritt bald rechts bald links neben dem Wagen her. Bevor er in 
einen Hohlweg oder um eine Straßenbiegung kam, klatschte er mit der Peitsche, 
um entgegenkommendes Fuhrwerk von seiner Nähe zu benachrichtigen. Begegneten 
sich ein paar Fuhrleute, so tauschten sie Nachrichten aus. Ein Fuhrmann mußte 
lesen und schreiben können: er erhielt nicht selten Aufträge von den Handels¬ 
häusern, auch bare Summen wurden ihm anvertraut, die er unter dem Kittel in 
seiner uni den Leib geschnallten Geldkake bei sich trug. Mit den Straßen und 
Gasthäusern war der Fuhrmann wohlbekannt; er mußte auch wissen, welches das 
niedrigste Stadtthor war, das er auf seiner Reise zu passieren hatte. Danach 
richtete sich die Höhe der Bepacknng des Wagens. 
5. Friedrich Wilhelms II. letzte Jahre und Tvd. 
Beruh. Rogge, Xnv Buch vnii den preußischen tiüiiiflcii. Hannover 1891. 
Bei allem Zuwachs, den Preußen unter Friedrich Wilhelm II. an Land 
und Leuten erhalten hat, war doch das Ansehen des Staates nach außen überall 
geschädigt worden, und auch die inneren Zustande zeigten, zumal in den letzten 
Regierungsjahren des Königs, ein wenig erfreuliches Bild. Tie Sinnlosigkeit 
hatte namentlich unter den höheren Ständen weit um sich gegriffen. Der 
Staatsschatz von siebzig Millionen, den Friedrich der Große seinem Nachfolger 
hinterlassen hatte, war verschleudert und statt dessen der preußische Staat mit 
zweiundzwanzig Millionen Schulden belastet. Das kriegsgeübte und sieggewohnte 
Heer Friedrichs des Großen hatte sein Selbstvertrauen eingebüßt, und der Geist 
der strengen Zucht, den Friedrich Wilhelm I. seinem Heere einzuhauchen ver¬ 
standen hatte, war erschlosst. Auch das persönliche Leben Friedrich Wilhelms 
entbehrte leider des rechten sittlichen Haltes. Schon vor seiner Thronbesteigung 
hatte er als Prinz von Preußen mit Wilhelmine (infe, der Tochter eines 
Kmmnermnsiktts, ein sträfliches Verhältnis unterhalte». Ter Prinz erteilte ihr. 
um sie zu sich hinaufzuziehen, selbst Unterricht in verschiedenen Sprachen, in 
Geschichte und Geographie. Später sandte er sie zu ihrer weiteren Ausbildung 
nach Paris. Sie wurde zum Scheine mit dem Kammerdiener Rietz verheiratet, 
aber ohne daß dadurch in dem Verhältnis Friedrich Wilhelms zu ihr eine 
Änderung eintrat. Gegen das Ende seiner Regierung erhob sie der König zur 
Gräfin von Lichtenan. Tie von ihr geborenen Kinder erhielten die Titel Gras 
und Gräfin von der Mark. Mit der Zeit nahmen seine Beziehungen zu ihr 
mehr den Charakter einer vertrauten Freundschaft an. Aber das Ärgernis, das 
dieses vom Throne her gegebene schlechte Beispiel dem Volke gab, wurde da¬ 
durch nicht gemildert, zumal der König sich unausgesetzt von ihr beherrschen 
ließ und ungeheure Summen an sie verschwendete, während seine rechtmäßige 
Gemahlin oft über Geldverlegenheiten zu klagen hatte. Ter König hielt bis zu
	        
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