Full text: Deutsches Lesebuch für ein- und zweiklassige Schulen

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ein Fuchs und ein Rappe und in einem besondern kleinen Raum 
auch ein allerliebster Pony für den Junker Karl, den Sohn des 
reichen Edelmanns. 
Die Pferde waren ebenso klug als schön, und Hennig sagte ein¬ 
mal, es fehle ihnen nur die Sprache, sonst könne man mit ihnen 
umgehen wie mit Menschen. 
„Ja, ja," sagte darauf der Junker Karl, „sie können auch wirk¬ 
lich sprechen, man muh nur die Pferdesprache verstehen." 
Darüber lachte Hennig und fragte: „Wer versteht denn die 
Pferdesprache?" 
„Mein Vater," sagte der Junker Karl und lief davon. 
2. Nicht lange darauf kam der böse Nachbar Humpermann in 
den Stall, um die Pferde zu besehen. Er kam aber eigentlich nicht 
deswegen; er wollte den Hennig verführen, den goldgelben Hafer 
zu stehlen und zu verkaufen. Das gelöste Geld wollten sie dann 
zusammen vertrinken. 
Hennig wollte aber davon nichts wissen, weil es doch Sünde sei, 
den guten Herrn zu bestehlen und die klugen Tiere hungern zu lassen; 
auch erzählte er dem Humpermann, dah die Pferde sprechen könnten 
und dem Herrn gewiß alles wieder sagen würden- Darüber lachte 
Humpermann ganz gewaltig und schalt den Hennig einen Narren. 
„Sieh," sagte er, „die Pferde können so wenig sprechen als die 
Schwalbe dort in ihrem Neste und der Kantschu, der dort an der 
Wand hängt; auch haben ja die Pferde an der Hälfte Hafer genug, 
und zur andern Hälfte können sie Häcksel fressen." 
3. Nun lieh sich Hennig verführen. Als es Nacht war und 
alles im Schlosse schlief, kam der böse Humpermann mit einer Laterne, 
und beide fingen an, den schönen Hafer einzusacken, um ihn fortzu¬ 
bringen. Da erwachte von dem Schein des Lichtes die Schwalbe, 
welche an der Decke des Stalles ihr Nest hatte, und rief: „Ziep, ziep!" 
Hennig erschrak; denn er verstand: „Dieb, Dieb!" Allein Humper¬ 
mann sagte ärgerlich: „Lah doch den dummen Vogel schreien," und 
stahl weiter. 
Da fiel plötzlich der dicke Kantschu von seinem Nagel herunter, 
dah es durch die stille Nacht einen lauten Schall gab. Hennig erschrak 
abermals und wollte den Hehler fortschicken; aber der erste Schritt 
war getan, und als Humpermann lachte, schämte sich Hennig, dah er 
so furchtsam war. 
4. Am andern Tage bekamen die guten Pferde halb Hafer, halb 
Häcksel, was ihnen gar nicht schmecken wollte. Aber dem ungetreuen 
Hennig wollte sein Essen auch nicht schmecken, und als der Herr in den 
Stall kam, konnte er ihn gar nicht ansehen. Die Schwalbe im Neste
	        
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