fullscreen: Lehr- und Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

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die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele. — Die 
Obrigkeit ist Gottes Dienerin! — Wer sich wider die Obrigkeit setzet, wider— 
strebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden ein Urteil über sich 
empfangen!“ Was thun die Sozialisten aber dagegen? Sie lehren einfach, 
einen Gott im Himmel gebe es nicht, eine lebendige Seele habe der Mensch 
nicht, und sei er tot, so sei er ein Stück Aas und höchstens noch dazu nütze, 
das Feld zu düngen. Die Kirchen seien nur da, das Volk in Dummheit zu 
erhalten, und die Geistlichkeit, um die Menschen knechten zu helfen. 
Du mußt aber nicht glauben, lieber Fritz, daß diese Leute den Aufruhr 
gegen Gott und Menschen so offen predigen. Ihre Führer sind eben Wölfe 
in Schafskleidern. Mit unserem Herrgott machen sie freilich kürzern Prozeß, 
weil der die Narren laufen läßt. Vorsichtig aber müssen sie schon sein, wenn 
es sich um Empörung gegen die Obrigkeit handelt. Da könnte ihnen leicht 
auf die Finger geklopft werden. Darum sagen sie auch, daß sie mit Auf— 
ruhr und Gewalt weder gleichmachen noch teilen wollen. Sie meinen, alles 
werde sich von selbst machen. Wie sie solches denken, hat kürzlich einer ihrer 
Führer beschrieben. Er meint etwa so: Die Zeiten sind spottschlecht. Es 
werden immer mehr Leute verarmen und die Reichen immer reicher werden. 
Das werde so fortgehen, bis das Volk verarmt und der ungeheuerste Reich— 
tum in den Händen weniger Menschen sei. Diese müssen ihre Schätze gut— 
willig herausgeben oder dadurch zu Grunde gehen, daß sie expropriiert 
werden. Fritz, expropriiert sagt der Mann. Es ist, als schäme er sich, das, 
was er meint, gerade und deutsch herauszusagen. Expropriieren heißt, einem 
Menschen sein Geld oder Gut mit Gewalt und Zwang abnehmen. Siehst 
Du, da ist doch der Aufruhr, der Raub und vielleicht auch — der Mord. 
So geduldig, wie sich die Sozialisten anstellen, sind sie aber nicht. 
Das Abwarten haben sie eben nicht gelernt. Wie die Soldaten durch das 
Manöver auf den Krieg geübt werden, so haben die Sozialisten bereits den 
Anfang gemacht, ihre Mannschaften in kleinen Kämpfen zu üben. Sie haben 
die sogenannten Streiks, das sind die allgemeinen Arbeitseinstellungen, er— 
funden. Die Gesellen in einer Stadt oder die Arbeiter in einer Fabrik er— 
halten von Berlin oder Hamburg aus die Weisung, nicht unter so und so 
viel Mark Tagelohn zu arbeiten. Den so festgesetzten Preis nennen sie 
Minimallohn. Zu gleicher Zeit soll die Arbeit um einige Stunden täglich 
verkürzt werden. Also weniger Arbeit und mehr Geld! Will oder kann 
der Brotherr darauf nicht eingehen, so wird von allen Arbeitern zu gleicher 
Zeit die Arbeit niedergelegt. Der Kampf, wenn auch nur im kleinen, ist 
da. Es handelt sich nun darum, wer den längsten Atem hat, der Geldbeutel 
des Brotherrn oder der Magen des Arbeiters. Zu gleicher Zeit ist aber 
auch die Teilerei da; dem einen soll's genommen und dem andern soll's 
gegeben werden. Ein Lump, der den treuen Arbeiter darben läßt, und solcher 
Lumpe giebt's genug in der Welt. Gott bewahre uns, sie zu verteidigen! 
Kein Arbeiter darf über seine Kräfte arbeiten, und seine Arbeit muß so 
bezahlt werden, daß er bei guter Wirtschaft davon leben und auch einen 
Notpfennig zurücklegen kann. Aber mit den gewaltsamen, unvernünftigen 
und öfters sogar unverschämten Preissteigerungen gewinnt der Arbeiter nichts.
	        
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