122 Geschichte des Mittelalters. §. 176.
wieder zu beleben, den Erfolg seiner Bestrebungen. Der Zwang, den
er in seiner Jugend von christlichen Lehrern erduldet, hatte in ihm eine Ab-
neigung gegen das Evangelium erzeugt, während seine lebhafte Einbildungs-
kraft und seine Liebe für Plato's Philosophie (§§. 65, 72) und für die
Literatur und Dichtkunst des Alterthums ihn zum begeisterten Verehrer des
Heidenthums machten. Darum wurde er von den christlichen Schriftstellern
mit dem Namen des Abtrünnigen (Apostat) belegt. Doch war er zu
gerecht und zu klug, als daß er blutige Verfolgungen über die Christen ver-
hängt hätte; er begnügte sich, sie aus seiner Nähe omd von den Staats- und Lehr-
ämtern zu entfernen, ihre Ansichten in Schriften zu bekämpfen und den heidnischen
Götterdienst mit seinenFesten und Opfern wieder herzustellen. Dem Sonnen-
gotte brachte er selbst zuweilen feierliche Hekatomben von hundert Stieren
dar. Allein sein Bestreben, die zur Leiche gewordene heidnische Volksreligion
wieder zu beleben und die Sitten und Einrichtungen einer entschwundenen Zeit
zurückzurufen, war ein thörichtes Unterfangen. Als er mit altrömischem
Heldensinn einen kühnen Feldzug gegen die Neuperser unternahm, erobernd
über den Euphrat und Tigris drang, dann aber, in unzugängliche Berggegenden
aa°3— verlockt, einen beschwerlichen Rückzug antreten mußte, traf ihn ein tödtlicher
364. Pfeil und vernichtete seine Schöpfungen. „Du hast gesiegt, Galiläer!" sollen
Jm— seine letzten Worte gewesen sein. Sein Nachfolger, der weichliche J o vi an,
378 gab in einem schimpflichen Frieden das Eroberte zurück und verlieh dem
Valcnti- Christenthum wieder die Herrschaft. Nach seinem Tode wurde das Reich ge-
3<uL theilt, so daß der Arianer Valens über das Morgenland regierte, während
375. sein Bruder, der rauhe, kriegerische Valentiuian I., dem Abendlande vorstand.
-r II. D i e Völkerw<«der»«g.
1. Theodosms der Große $79 -395).
§. 176. Als Valens den Osten regierte, ka!n aus den Steppen von
Mittelasien ein wildes, häßliches, wohlberittenes Nomadenvolk — die
Hunnen, nach Europa. Nach Unterwerfung der Alanen bewältigten sie
die tapfern Ostgothen, deren greiser König Hermanrich sich selbst den
Tod gab, und griffen dann die Westgothen an. Diese erhielten aber,
weil sie bereits von Bischof Ulfilas zum arianischen Christenthum bekehrt
worden waren, von Valens die Erlaubniß, mit Weib und Kind über die
Donau zu setzen und neue Wohnsitze einzunehmen. Durch die Bestechlichkeit
der römischen Beamten blieben die Westgothen gegen die Übereinkunft im
Besitze ihrer Waffen, und da sie durch die Härte und Habgier der Statthal-
ter bald in die größte Hungersnoth geriethen, so griffen sie zu dem gewohn-
ten Schwerte, stürmten die Stadt Marcianopel uud durchzogen raubend
und verwüstend das Land. Da rückte Valens eilig gegen die Feinde, ver-
378. lor aber in der mörderischen Schlacht von Adrianopel den Sieg und auf
der Flucht in einer brennenden Hütte das Leben. Mit entfesselter Wuth
durchstreiften jetzt die Sieger das wehrlose Land bis zu den julischen Alpen
und bedrohten sogar die Grenzen von Italien. In dieser Noth erwählte
875— Gratian, der Sohn Valentinians, den tapfern Feldherrn Theodosius,
383. welcher damals auf seinem Landgute in Spanien in der Verbannung lebte,
^-doflu»zum Beherrscher des Morgenlandes. Dieser beendigte den Gothenkrieg,
395 indem er einen Theil der Feinde in den südlichen Donauländern ansiedelte,
.. -J— einen andern Theil als Söldner in die römischen Heere aufnahm. Einige
Zeit nachher wurde Gratian, der jagdliebende Zögling des Naturdichters
383. Ausonius, in einem Aufstand ermordet. Da setzte Theodosms, nachdem