6H. An der schwelle von Asien.
Friedrich Badenstedt. Tausendundein Tag im Orient. Berlin.
1. Der Gebirgswall des Kaukasus.
Hinter uns liegt die Steppe, und vor uns auf steigt der Kailkasiis.
Wie das Herz sich erhebt mit den Bergen, und wie das Auge klarer
wird beim Anschauen ihrer leuchtenden Gipfel! Von dort, wo der viel¬
gespaltene Kuban seine schlammigen Wogen in den tückischen Pontus
wälzt, bis §u den Feuertempeln am Kaspischen Meere läuft wild gezackt
lind zerklüftet die hohe Gebirgsmauer, die Asien von Europa trennt.
Alls der frischen, kräftigen Pflanzenwelt zu ihren Füßen, aus dem
dunkeln Grün, das hier als breiter Gürtel ihre Flanken umkleidet, dort
in launenhaft zerrissenen Grasmatten hoch hinaufkriecht an den Ungetümen
Felsucassen, steigen die Berge empor in nackter Schöne, bis wo der
demantene Winterschleier in blendender Weiße voll den himmelanstrebenden
Kuppen stuf ihre gewaltigen Schultern herabfällt.
Hoch hinaus über diesen, in wilnderbarelu Farbenspiel schimlnernden
Massen zeichnen zur Linken der Kasbek, zur Rechten der Elborus und
in gleicher Entfernung von beiden der pyramidenförmige Paßmymtha ihre
weißen Häilpter am blauen Himmel ab.
Kein europäisches Gebirge gewährt in seiner Gesamtheit einen so
überwältigend schönen Anblick als der Kaukasus, wie er sich dem aus der
Steppe koinmenden Wanderer zeigt. '
Hier ist kein vernüttelnder Übergang, kein störendes Vorgebirge, das
den Anblick des großen Ganzen erschwert.
Entweder erscheint der Himmel grau umwölkt, dichte Nebel beschränken
den spähenden Blick, unb man wähnt, noch mitten in der Steppe jtt fein,
— oder der Wolkenschleier zerreißt, der Nebel fällt, und das Gebirge
steht da in seiner ganzen Glorie.
So sah ich es zum ersten Male bei Jekaterinograd, der unter
Katharina II. gegründeten, hart an der Kabardah gelegenen Kosakenstadt,
wo der Weg, der irns aus Rußland hierhergeführt, sich in zwei Arme