Full text: Lesebuch für Volksschulen

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3. Vater, hab' mit mir Geduld 
Alle Menschen, groß und klein, 
Sollen dir befohlen sein. 
Wie ich allen auch verzeih', 
Daß ich ganz in Liebe sei! 
Und vergieb mir meine Schuld, 
5. Kranken Herzen sende Ruh', 
Nasse Augen schließe zu, 
Laß den Mond am Himmel steh'n 
Und die stille Welt beseh'n! 
4. Alle, die mir sind verwandt, 
Herr, laß ruh'n in deiner Hand! 
22. Der junge Norweger. 
Luise Hensel. 
*, „So," sagte eine Mutter in Norwegen zu ihrem zehnjährigen 
Söhnlein, „so, nimm das Fleisch und bring's dem armen Weibe, daß 
es sich doch auch freuen kann zu Weihnachten, wo man kein Christen¬ 
herz betrübt lasten soll." Und der Knabe nimmt das Fleisch aus seinen 
Schlitten und fährt getrosten Muthes hinaus, der Hütte des armen 
Weibes zu.- Da er aber in den tiefen Hohlweg kommt» sieht er auf 
einmal einen großen Hund hinter seinem Schlitten. Dem dünkt das 
Fleisch zu appetitlich, und mehr als einmal macht er Miene, darnach 
zu schnappen. Aber so oft der Junge das wahrnimmt, bleibt er stehen, 
droht dem Hunde mit dem Finger und sagt: „Schäm' dich, du großer 
Hund, das gehört meiner Mutter!" Endlich da, wo der Hohlweg auf 
die Straße von Moß nach Christiania ausläust, wird der Hund auf 
einmal durch das Geschelle eines heranfahrenden Schlittens verscheucht 
und läuft zurück. Aber die Reisenden, die in dem Schlitten sitzen, 
halten mit entsetzten Gesichtern vor dem Knaben und rufen: „Um 
Gottes willen, Kind! hat dir der Wolf nichts gethan?" Da sieht sie 
der Junge verwundert und treuherzig an und sagt zu ihnen ruhig: 
„Nein, ist das denn ein Wolf gewesen? ich meinte, es sei ein Hund." 
Aber, denkt er nachher in seinem Herzen, laß es auch immer ein Wolf 
sein; was könnte er mir denn thun, wenn Gott mit mir ist? — und 
fährt fröhlich seine Straße weiter. 
Der Fuchs erzählte einmal dem Wolfe von der Stärke des Men¬ 
schen. Kein Thier, sagte er, könne ihm widerstehen. Da antwortete 
der Wolf: „Wenn ich nur einmal einen zu sehen bekäme, ich wollte 
doch wohl auf ihn losgehen!" „Dazu kann ich dir helfen," sprach 
der Fuchs; „komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen 
zeigen." Der Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs ging 
mit ihm an den Weg, wo der Jäger alle Tage herkam. Zuerst kam 
ein alter, abgedankter Soldat. „Ist das ein Mensch?" fragte der 
Wolf. „Nein," antwortete der Fuchs, „das ist einer gewesen." Dar¬ 
nach kam ein kleiner Knabe, der zur Schule wollte. — „Ist das ein 
Mensch?" — „Nein, der will erst einer werden." — Endlich kam 
der Jäger, die Doppelflinte auf dem Rücken und den Hirschfänger an 
der Seite. Da sprach der Fuchs zum Wolfe: „Siehst du, dort kommt 
ein Mensch, auf den mußt du losgehen, ich aber will mich fort in 
meine Höhle machen." 
23. Der Wolf und der Mensch 
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