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Prosccheft VII.
sonders die traurige Zeit, wo die Häuser Laneaster uud Port in blutiger
Fehde die englische Aristokratie dezimierten und das Land verwüsteten,
die Zeit der Rosenkriege, stand den Bewohnern jener Grafschaft noch in
lebendigster Erinnerung. Der große Held der Rosenkriege war der
fünfte Graf von Warwick, Richard Beauchamp, und ein anderer Graf
von Warwick, Richard Neville, ist als der Königsmacher auch uns aus
Historie uud Dichtung wohlbekannt.
War es ein Wunder, wenn jene Periode der englischen Geschichte,
von der seine Heimat ihm vor allen anderen erzählte, zugleich diejenige,
welche Eduard Hall in seiner Chronik behandelt hatte, Shakespeare
gleich im Beginn seiner dramatischen Laufbahn zur Darstellung und
künstlerischen Bewältigung reizte?
Es ist nicht gleichgültig, wo ein Mensch, zumal ein Genie geboren
wird, ob er einem schon verbrauchten oder einem lebensfrischen Volks-
stamm entsprießt, welche Luft er in seiner Kindheit atmet, welche Lieder
ihm an der Wiege gesungen wurden.
Und so mag es kein Zufall sein, daß Shakespeare in Warwick ge¬
boren wurde; es mag ein Zusammenhang zwischen seiner Herkunft und
der eigentümlichen Richtung seines Genius vorhanden sein. Shakespeare
ist seit der altenglischen Periode der erste unter den großen englischen
Dichtern, in dem das germanische Element sich mit übermächtiger Ge¬
walt wieder geltend macht und alles, was an ausländischen Bildungs-
elementen vom Nationalgeist aufgenommen war, in seinen Dienst zwingt.
Bei ihm erklingt zum erstenmal wieder dieser erschütternde Ton tiefster
Empfindung, findet sich diese einfach kühne Art des dichterischen Aus¬
druckes, welche ohne Vorbereitung und ohne Vermittelung — scheinbar
ohne jeden Aufwand künstlerischer Mittel — uns plötzlich mitten in die
Sache hinein versetzt, mit einem Wort: das Stimmungsvolle, das ein
Hauptmerkmal germanischer Poesie ist.
Shakespeares Knabenjahre scheinen sehr glücklich gewesen zu sein.
Wie auf ein verlorenes Paradies blickt der Dichter im späteren Leben
auf jene Tage der Unschuld, jugendlicher Freuden und jugendlicher
Freundschaft zurück, die Zeit, wo er nicht weiter vorwärts dachte als:
„solch ein Tag wie heut' sei morgen auch, und daß er ewig Knabe
bleiben werde", wo er mit seinen Spielgenossen „Unschuld für Unschuld
tauschte" und sich nicht träumen ließ, „man täte Böses" in der Welt.
Die schöne Zeit währte nur kurz.
Um die Zeit, wo Shakespeare — ein vierzehnjähriger Knabe —
die Schule verlassen haben mag, begann der Horizont seines Lebens sich
mählich zu verfinstern. Es war zuerst der Wohlstand seiner Familie,
der ins Schwanken geriet, um dann zu sinken. Wir können die traurige
Entwickelung der Dinge, welche die Familie Shakespeare in Armut
stürzte uud um ihr Ansehen brachte, ihr Haupt John Shakespeare seiner