94
Faden zur Leinwand ziehen. — Der Staub an der Blüthe läßt sich wohl
abwischen, aber wir können keine Samenkörnchen daraus formen. Aus
dem trockenen Halme läßt sich kein Saft mehr drücken, und er scheint
ganz verächtlich, und doch schließt er in sich den köstlichen Flachs!"
Und die KinderWagten: „Wie keimt denn das Körnchen? Wie
kann denn ein Halm aus der Erde davon emporsteigen? Wie macht
denn Gott die Blüthe auf und schließt den Knoten? Und wie bildet
er denn im Halme die Fasern und im Knoten die Körnchen? Kaun
man da nicht zusehen, so wie wir wohl dem Zimmermann und dem
Goldschmied zugesehen haben?"
Diese Fragen folgten rasch hintereinander von Gustav und Minchen;
aber die Mutter bedauerte, daß sie nichts davon wisse. „Denn der
liebe Gott," sagte sie, läßt uns nur ein klein wenig in seine Werk¬
stätte blicken, und kein Mensch, weder Vater, noch Mutter, noch
Lehrer, hat es je ganz begriffen."
10. Nachricht und Bitte.
Liebe Franziska!
Heute Morgen bin ich mit meiner Mutter und meinem Bruder
Gustav im Felde gewesen. Da haben wir unsern Flachs besehen. O,
wie schön blau der blüht! Es ist eine Freude, ihn zu sehen. Mein
Bruder und ich haben aber auch eine Menge Kornflockenblumen gepflückt.
Besuche mich diesen Nachmittag; dann wollen wir schöne Kränze aus
denselben machen.
Borbeck, den 15. Juli 1856. Deine Freundin
Karoline Baum.
11. Das Kind und die Kornblume.
Kind.
Ha, liebes Blümlein, du schon hier?
Wart', näher kommen muß ich dir,
Möcht' gar zu gern dich pflücken.
Kornb lume.
Lieb' Kind, komm' mir doch nicht zu nah':
Denn wiff', umsonst steh' ich nicht da.
Es wogt des Landmanns Ährenfeld,
Und Hoffnung ihm die Seele schwellt.
Nun lehrt mein Blau ihn fest vertrauen
Und gläubig ihn gen Himmel schauen.
Drum brich mich nicht, du müßtest dich schämen,
Du würdest ihm ja die Hoffnung nehmen
Der Halme, die dein Fuß zerknickt.
Da blieb das Kind von seme stehen,
Doch nach dem Blümchen mußt es sehen;
Dann hob es seinen Blick nach oben,
Dacht an den guten Vater droben.