Full text: Lesebuch für katholische Volksschulen

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Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar, 
und schmückt sich mit Rosen und Ähren, 
und lässt die Brünnlein rinnen klar, 
als wären es Freudenzähren. 
Drum still! Und wie es frieren mag, 
o Herz, gieb dich zufrieden! 
Es ist ein grosser Maientag 
der ganzen Welt beschieden. 
Und wenn dir oft auch bangt und graut, 
als sei die Hüll' auf Erden: 
nur unverzagt auf Gott vertraut! 
Es muss doch Frühling werden. Geibei. 
176. Rotkäppchen. 
1. Es war einmal ein kleines liebes Mädchen, das hatte 
jedermann gern, der es nur ansah, am allerliebsten aber seine 
Großmutter; die wußte gar nicht, was sie alles dem Kinde geben 
sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem 
Sammet, und weil ihm das so wohl stand, und es nichts anderes 
mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Da sagte 
einmal seine Mutter zu ihm: „Komm, Rotkäppchen, da hast du 
ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, die bring' der Gro߬ 
mutter hinaus: weil sie krank und schwach ist, wird sie sich daran 
laben. Sei aber hübsch artig und grüß' sie von mir, geh auch 
ordentlich und lauf nicht vom Wege ab, sonst fällst du und zer¬ 
brichst das Glas, dann hat die kranke Großmutter nichts." 
Rotkäppchen sagte: „Ja, ich will alles recht gut ausrichten," 
und versprach's der Mutter in die Hand. Die Großmutter aber 
wohnte draußen im Walde, eine halbe Stunde vom Dorfe. Wie 
nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf; 
Rotkäppchen aber wußte nicht, was es für ein böses Tier war, 
und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rotkäppchen," 
sprach er. — „Schönen Dank, Wolf." — „Wo willst du so früh 
hinaus, Rotkäppchen?" — „Zur Großmutter." — „Was trägst 
du unter der Schürze?" — „Kuchen und Wein für die kranke 
und schwache Großmutter; gestern haben wir gebacken, da soll sie 
sich stärken." — „Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?".— 
„Noch eine Viertelstunde im Walde, unter den drei großen Eich¬ 
bäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst 
du ja wissen," sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: 
Das junge, zarte Mädchen, das ist ein guter, fetter Bissen für 
dich; wie fängst du's an, daß du den kriegst? Da ging er ein 
Weilchen neben Rotkäppchen her; dann sprach er: „Rotkäppchen, 
sieh einmal die schönen Blumen, die im Walde stehen, warum 
guckst du nicht um dich; ich glaube, du hörst gar nicht darauf,
	        
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