Full text: [Stufe 4 = Schulj. 5 u. 6] (Stufe 4 = Schulj. 5 u. 6)

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strohgefüllten Bachraum durcheilt und kriecht eben vorsichtig 
auf der entgegengesetzten Seite durch das Loch zwischen den 
Ziegeln auf den Scheunensims. Im nächsten Augenblicke springt 
er mit kühnem Satze auf einen Vorsprung des angrenzenden 
Stallgebäudes. Er hat es auf ein feistes Huhn abgesehen. 
Leise schleicht er die Hühnertreppe hinauf und in den Stall 
hinein. Pie feine Mardernase wittert auch im Dunkel die Nähe 
einer Henne. Im Augenblicke ist ihr der Hals durchgebissen, 
ehe sie noch einen Laut ausstofsen konnte ; darum bleibt alles 
still bis auf das verwunderte Gackern einiger Hühner, die sich 
das Flügelschlagen ihrer sterbenden Schwester nicht erklären 
können. Jetzt eilt der Räuber mit der erbeuteten Henne auf 
demselben Wege zurück, den er gekommen ist, und gelangt 
glücklich zu seinen Jungen. Diese empfangen ihn stürmisch 
mit hochgeschwungenem Schwänzchen und lautem Geschrei und 
fallen gierig über das saftige Fleisch her. 
In der nächsten Nacht wird er zur Abwechselung dem 
Taubenschlage einen Besuch abstatten. Morgen holt er sich 
vielleicht die feiste Ratte, welche an der Düngerstätte ihr 
Wesen treibt, und übermorgen füllt er seinen Magen mit süssen 
Pflaumen und Birnen, die der geübte Kletterer von den Bäumen 
holt. Im Falle der ärgsten Not nimmt er auch mit Erbsen 
fürlieb, mit denen er den knurrenden Magen befriedigt. So 
treibt er es Sommer und Winter, bis der Bauer ihn schliesslich 
eines Tages doch erwischt, sei es in der Kastenfalle, sei es auf 
dem Fruchtbaume, von dem der Obstdieb herabgeschossen wird. 
Seinen Pelz trägt er in die Stadt zum Kürschner, der ¡hm 
für denselben, besonders zur Winterszeit, einen hübschen Preis 
bezahlt und ihn alsdann zu schönem, wärmendem Pelzwerke 
verarbeitet. Müller. 
194. Die Gäste -es Kirsch-aums. 
Von dem Tage, an welchem seine erste Blüte aufplatzt, bis zu 
dem Tage, an welchem der Pachter die letzte Frucht abnimmt, ist der 
Kirschbaum Wirt und Wirtshaus zugleich. Alle Tage hält er offene 
Tafel und ist sie selbst. Wer Lust hat, kann sich niedersetzen und zu¬ 
langen ; geht er satt und voll von dannen, so braucht er uicht danach 
zu fragen, was er schuldig ist. Du kannst leicht denken, daß es in 
diesem Wirtshause an Gästen niemals fehlt. 
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