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Ter Gesang der Amsel ist ein abwechselndes, melodienreiches Sieh;
einzelne Strophen sind von ausgezeichneter Schönheit, einzelne Töne
an Klang und Fülle denen der Nachtigall vollständig gleich. Das
Lied selbst ist in deutlich abgesetzte Strophen gegliedert, fast wie ein
Kirchenlied; jeder Ton ist in sich abgeschlossen. Gern hängt sie den
einzelnen Strophen noch die leicht hingeworfene, leist Nachahmung einer
anderen Vogelstimme an. Es scheint, als ob sie sich bewußt wäre, wie
vorzüglich ihr Gesang ist; denn so versteckt sie sich gewöhnlich hält, so
frei zeigt sie sich, wenn sie ihr Lied beginnt. Sie wählt dann immer
den Gipfel eines hohen Baumes zu ihrem Sitze und schmettert von da
herab ihre herrlichen Klänge durch den Wald, selbst dann noch, wenn
die Abenddämmerung bereits hereingebrochen ist, ja sogar, wie es
scheint, dann am liebsten, als ob sie sich im Gesänge von des Tages
Last und Mühe erholen wollte.
Die Nahrung der Amseln besteht in Insekten, Schnecken und
Würmern allerlei Art, im Herbste und Winter in Beeren. Sie suchen
in der rauhen Jahreszeit ihre Beute größtenteils vom Boden auf und
verweilen hier deshalb täglich mehrere Stunden.
Sie nistet in Dickichten, am liebsten auf jungen Nadelbäumen,
immer niedrig über dem Boden, zuweilen selbst aus ihm; feine Würzel¬
chen, Stengel und Gras bilden die Außenwände, eine Schicht fettiger,
feuchter Erde, welche sehr geglättet ist, aber immer feucht bleibt, das
Innere. Schon Mitte oder Ende März findet man die vier bis sechs
Eier; sie sind verhältnismäßig groß, haben einen blaßblaugrünen
Grund und sind mit rostfarbigen Flecken und Punkten bedeckt, vor¬
wiegend am stumpfen Ende. Nunkwiij
204. Heidenröslein.
1. Sah ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
war so jung und morgenschön,
lief er schnell, es nah zu sehn,
sahs mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
2. Knabe sprach: „Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!“
Röslein sprach: „Ich steche dich,
dass du ewig denkst an mich,