Full text: Das Vaterland (Schulj. 5 und 6)

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habe sich nämlich in eine Bockshant einnähen und unter lustigem 
Meckern auf der Stadtmauer sehen lassen, bis die Feinde in der 
Meinung, die drinnen müssten noch Lebensmittel genug haben, 
voll Verdruss und Ärger wieder abgezogen seien. Das war ein 
gescheiter Bursche — dieser Neustädter Schneider; aber der 
Hannes-Jakob von Hopp ach war auch nicht auf den Kopf 
gefallen. 
Wenn man von Eschau nach Hoppach geht, kommt man 
an einem Berge vorbei, der bis herunter in den Grund reicht; 
darauf liegt das Wildensteiner Schloss. Jetzt steht davon nur noch 
eine grosse Mauer und das Thor, das sonst eine Zugbrücke gehabt 
hat, und ein hoher viereckiger Turm, und im Hofe ist noch der 
Keller zu sehen und ein tiefer Brunnen, der aber mit Steinen aus¬ 
gefüllt ist. Vor hundert Jahren wohnte noch der Jäger im Schlosse 
und der Schäfer, seitdem aber ist’s öde und verlassen; im Hofe 
weiden die Kühe, auf dem Gemäuer haben die Vögel und der 
Wind Tannenbäume und Vogelbeeren ausgesät, und auf dem 
Schlosswege wächst das Gras. Dass es hier einmal so aussehen 
würde, hätte von den Rienecker Grafen, die vorzeiten in dem 
Schlosse hausten, keiner geglaubt als vielleicht der letzte, der, 
als seine Leute im Schlosse alle geflohen oder geblieben waren, 
mit dem Pfarrer durch den unterirdischen Gang sich retten 
wollte, aber sich in sein Schwert stürzte, da er den Ausgang 
dort, wo man’s die „Badestube“ heisst, vom Feinde bereits 
besetzt fand. Sonst waren die Rienecker Grafen lange Zeit 
reiche und grosse Herren, die Geld und Gut und Grund und 
Boden genug gehabt hatten, und es wäre auch heute noch von 
ihrem Golde und Silber viel im Schlosse zu heben, wenn man 
nur wüsste, wie und wo. So aber wird’s liegen bleiben bis zum 
jüngsten Tage. 
Immer hilft Geld und Gut auch nicht, und ein guter Ein¬ 
fall ist manchmal mehr wert als Gold und Silber. Das haben 
die Herren einmal recht deutlich erfahren, als sie den grossen 
Streit mit den Mainzern führten. Diese hatten die ganze Gegend 
mit ihren Leuten belegt, dass kein Rienecker mehr vom Schlosse 
sich wagen durfte. War’s ihnen auch nicht lieb, so gaben sie 
sich doch darein, tummelten ihre Gäule im Hofe, dass sie nicht 
steif wurden, hielten die Fastnacht im Schlosssaale und warteten 
auf bessere Zeiten. Als aber der Schnee schmolz und die wilden 
Wasser sich verlaufen hatten und man just auf die Märzveilchen 
wartete, siehe, da kamen eines Abends die Mainzer in hellen Haufen 
das Thal heraufgezogen und legten sich vor das Schloss, und die 
Rienecker machten grosse Augen. Zwar hatten sie Mannschaft 
genug, und die Mauern waren hoch und der Graben tief; aber 
mit der Nahrung sah’s übel bei ihnen aus, und sie wussten wohl, 
wenn der Magen leer ist, will das Herz nicht mutig sein und 
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