Full text: Das Vaterland (Schulj. 5 und 6)

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der Arm nicht zuschlagen. Anfangs hofften sie zwar immer 
noch, der Feind, wenn er sich den Kopf an der Mauer zerstofsen 
hätte, würde wieder abziehen; aber es war nicht so. Die Lärchen¬ 
bäume wurden grün, die Birken bekamen Blätter, die Fichten 
und Tannen setzten an, und der Kuckuck fing an zu schreien, 
— .aber nach wie vor lagen die Mainzer im Thale, und der 
Rauch stieg auf aus dem Lager — jeden Tag dreimal, gerade 
wie wenn sie daheim wären. Das war den Rieneckern ein 
bitterer Anblick, wie sie so des Morgens, Mittags und Abends 
die Mainzer sich um die Feldkessel lagern sahen; denn bei ihnen 
war Schmalhans schon lange Küchenmeister, — Mehl und Fleisch 
war dem Ende nahe, wiewohl sie auf Viertelskost gesetzt waren, 
und wenn auch einer kein besonderer Rechenmeister war, konnte 
er doch aufs Haar sagen, wann sie den letzten Laib Brot backen, 
und wann sie den letzten Schinken anschneiden würden. Was 
aber den Rienecker am meisten verdross: die Feinde mussten 
davon Wind bekommen haben. Denn wie er einmal mit seinem 
Knechte, dem Hannes-Jakob, über die Schlossmauer ins Thal 
schaut, hört er zwei Mainzer sagen: „Sie haben nichts mehr 
als ein Schwein und eine Kuh; jetzt wird das Nest bald 
unser sein.“ 
Der Hannes-Jakob aber war, wie gemeldet, nicht auf den 
Kopf gefallen. Wie er seines Herrn Betrübnis sah, ging’s ihm 
durchs Herz, und er hatte einen guten Einfall. Er ging nämlich 
hinunter in den Stall, holte das einzige Schwein, das sie noch 
hatten, warffs nieder und kniete ihm auf den Hals, dass es zu 
schreien anfing, wie wenn’s geschlachtet würde. Da spitzten die 
Mainzer die Ohren und lachten, weil sie meinten, jetzt müsse es 
bald zu Ende gehen. Wie er’s aber nach drei Tagen wieder 
that und nach drei Tagen abermals und immer so fort, da sagten 
sie: „Sie müssen noch vollauf haben im Schlosse; hört, sie 
schlachten schon wieder ein Schwein!“ 
Als er’s so eine Weile fortgetrieben hatte und die Leute 
den Gurt um den Leib sich anzogen, dass sie aussahen wie die 
Wespen, und auch die Katze geschlachtet hatten — denn auf 
die Mäusejagd, meinten sie, wollten sie schon selber gehen — 
konnten sie endlich nicht anders und mussten ihr letztes und ein¬ 
ziges Schwein schlachten. Da hiess der Rienecker seine Leute sich 
noch einmal satt essen und sagte: „Wir müssen nun doch bald 
sterben.“ Der Hannes-Jakob aber ging wieder in den Stall und 
blökte bald wie ein Kalb, bald brüllte er wie eine Kuh, und 
draussen sagten sie: „Die Schweine sind geschlachtet, jetzt 
kommen sie ans Rindvieh!“ und hatten’s bald satt, vor dem 
Schlosse zu liegen. 
Die im Schlosse aber wussten’s besser und waren am Ver¬ 
hungern, und eines Tages, wie von ihrem Schweine nur noch
	        
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