Full text: Vaterland und Weite Welt (C. Oberstufe)

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schienen dem Armen erloschen. Nie sprach er von demselben, nie nannte er 
seinen Namen; auch für alles andere war er teilnahmlos und verbrachte 
die Tage in einem stillen, traurigen Dahinbrüten. Jetzt schien mir ein 
Besuch bei dem Schimmel, welcher Pflege und Futter nur von einem in die 
Uniform des Dragoners gekleideten Knechte angenommen und sich merklich 
erholt hatte, das einzige Heilmittel. Darum redete ich eines Tages den 
Gemütskranken an und sprach: „Kamerad, wenn Sie sich wieder kräftig 
fühlen, sollen Sie mich gelegentlich in den Pferdestall begleiten, um Ihr 
Urteil über ein angekauftes Pferd abzugeben." Schon sah ich in dem 
Zornblitzen seiner Augen einer abschlägigen Antwort entgegen; aber er 
kämpfte die Regung des Unwillens nieder und erwiderte mit trauriger 
Stimme: „Morgen, lieber Herr, nicht heute; ich muß mich erst an den An¬ 
blick eines Pferdes wieder gewöhnen." 
Wirklich legte er am nächsten Morgen das bequeme Hauskleid ab und 
zog die Uniform wieder an, und so begaben wir uns nach dem Pserdestalle. 
Ein Blick genügte, um den Liebling wieder zu erkennen. „Herkules, mein 
Herkules, du lebst noch, ich habe dich wieder!" rief der Dragoner mit zittern¬ 
der Stimme. In fliegender Eile stürzte er nach dem Rosse, welches bei 
dem Klange seiner Stimme die Ohren spitzte und mit einem freudigen Wie¬ 
hern antwortete. Von nun an besorgte der junge Mann die Wartung und 
Pflege seines Rosses mit eigener Hand, führte es auf den nahen Wiesen 
spazieren und übte und stärkte dessen lahmen Fuß. Durch diese Beschäf¬ 
tigung vergaß er seines Leides und schöpfte neuen Lebensmut. 
Endlich waren Reiter und Roß völlig genesen. Das letztere warf 
den schönen Hals stolz in die Höhe, streckte den Schweif weit von sich und 
stieg keck und kerzengerade in die Luft. Sein schlanker Leib hatte sich mit 
glänzendem Haare bedeckt, die Haut ließ jede Ader und Muskel durch¬ 
schimmern, die Füße tanzten in Lust und Leben. Wie gafften und wunder¬ 
ten sich bei diesem Anblicke die damaligen Lacher und Spötter! 
Eines Tages kam Besuch auf das Gehöft. Der langgestreckte Korb¬ 
wagen und das eigentümliche Pferdegeschirr verwiesen auf Hannover. Er¬ 
ratet ihr die Namen der fremden Gäste? Es waren Vater und Bruder 
unsers Dragoners, aus weiter Ferne gekommen, den schmerzlich Entbehrten 
heimzuführen. Groß war die Freude des Wiedersehens! Auch das treue 
Roß erhielt davon seinen gebührenden Anteil. Der Abend war nicht lang 
genug, all' die Erlebnisse von Reiter und Pferd zu erzählen; die Nacht noch 
fand uns in tiefen Gesprächen. 
Am folgenden Morgen fuhr der Korbwagen wieder vor, an dessen 
Seite Herkules, lose angebunden, die Rückreise machen sollte. Als sein 
Herr das Tier herbeiführte, rief er ihm zu: „Herkules, bedanke dich bei 
unserm guten Hausherrn!" Sogleich kniete es nieder und berührte mit 
den Lippen meine Hände und Kleider, gleichsam, um sie zu küssen. Dann 
sprang das kluge Tier auf und wieherte laut, als ahne es den Heimzug. 
Sein Herr selbst hatte bei der Tiefe seiner Gefühle kein lautes Wort. Er 
drückte uns fest an sein lautschlagendes Herz und sprang dann hastig zu 
den Seinigen in den Wagen, der alsbald dahinsauste. Gartenlaube.
	        
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