Full text: [Teil 2. Mittelstufe] (Teil 2. Mittelstufe)

217. Aus dein deutsch-französischen Kriege 1570/71. 
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ein Sergeant mit seiner Mannschaft in solch ein Bauernhaus. Das 
Haus ist wie ausgestorben, und alle Stuben sind leer. Der Kriegsmann 
stößt mit dem Gewehrkolben auf den Boden und ruft: „Holla! wo seid 
ihr, Leute?“ Keine Antwort. Er geht gegen den Alkoven, zieht den 
Vorhang weg. Da sitzt ein altes Mütterlein, in Tränen gebadet, und 
hält ein kleines Kind auf ihrem Schoße. Wie das Kind die fremden, 
bärtigen Gestalten erblickt, fängt es laut an zu schreien und drückt sich 
fest in Großmutters Arme. Dem Sergeanten wird’s wundersam ums 
Herz; er wäre lieber seiner harten Kriegspflicht überhoben, aber er muß 
es tun, er kann nicht anders. „Wo ist der Bauer? Ich muß Brot und 
Wein haben, gleich! geschwind, oder —“ und macht ein Gesicht wie 
ein leibhaftiger Wallensteiner. Da schaut das Mütterlein empor, blickt 
dem fremden Kriegsmann wehmütig fragend ins Auge und sagt gar 
nichts. Der steht da, tief gerührt, vor dem ehrwürdigen Bilde, sein 
Herz schlägt gewaltig. Dann sagt sie mit zitternder Stimme: ,,Lebt 
Eure Mutter noch, und habt Ihr auch Geschwister?“ Jetzt rieseln 
dem Sergeanten die Tränen über den strammen Schnurrbart herunter. 
Die Frage hat ihn plötzlich aus dem wüsten Kriegsgetümmel in die 
liebe Heimat, in die goldene Jugendzeit zurückgetragen. „Ja“, sagte 
er, „mein Mütterchen lebt noch, und so ein Jüngelchen ist auch 
noch zu Hause. Gebt ihn mal her, den Kleinen, ich tu’ ihm nichts 
zu leide.“ Nun nimmt er das Kind auf seinen Arm, streichelt es 
freundlich übers Köpfchen und gibt ihm einen Kuß auf die Stirn. 
Dem alten Mütterlein wird’s auch ganz wundersam zu Mute; sie 
sieht, daß diese Preußen, wie man dort kurzweg alle Deutschen 
nennt, auch Menschen sind; sie steht auf, geht in die Küchenkammer 
und ruft: „Peter! Christine! kommt heraus; sie tun euch nichts! 
kommt nur geschwind!“ Dem Peter aber fährt’s wie eine Engels¬ 
botschaft durch alle Glieder; er stößt den Boden weg, hinter welchem 
er sich ins Zwetschgenfaß versteckt hat, und kriecht heraus. Die 
Christine hat ihre Lebensgeisterlein auch wieder gefunden; sie drückt 
den Deckel von der Mehlkiste empor, unter welcher sie sich ver¬ 
krochen hat, und krabbelt ans Tageslicht. Wie aus der Hölle erlöst, 
treten beide unter fröhlichem Herzklopfen in die Stube. Der Sergeant 
hat das Büblein noch auf dem Arme. „Ha, Bauer, was bist du für 
ein Mordskerl und fürchtest dich vor deutschen Soldaten! Schau mich 
mal an und meine Soldaten da, sind wir denn Menschenfresser?“ 
Der Peter sperrt Maul und Ohren auf. Die Christine lächelt ganz
	        
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