Full text: [Teil 1. Unterstufe] (Teil 1. Unterstufe)

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75. Der alte Sultan. 
und sprach: „Den alten Sultan schieß' ich morgen tot; der ist zu nichts mehr 
nütze." Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Tiere hatte, antwortete: 
„Da er uns solange Jahre gedient hat und ehrlich bei uns gehalten, so 
könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben." „Ei was", sagte der Mann, 
„du bist nicht recht gescheit: er hat keinen Zahn mehr im Maule, und kein 
Dieb sürchtet sich vor ihm; er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so 
hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt." 
2. Wie der alte Sultan durch den Wolf gerettet ward. 
Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, 
hatte alles mit angehört und war traurig, daß morgen sein letzter Tag sein 
sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf; zu dem schlich er 
abends hinaus in den Wald und klagte über das Schicksal, das ihm bevor¬ 
stände. „Höre, Gevatter", sagte der Wolf, „sei gutes Mutes! Ich will 
dir aus deiner Not helfen. Ich habe etwas ausgedacht. Morgen in aller 
Frühe geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu, und sie nehmen ihr kleines 
Kind mit, weil niemand im Hause zurückbleibt. Sie pflegen das Kind 
während der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten zu legen: lege dich 
daneben, gleich als wolltest du es bewachen! Ich will dann aus dem Walde 
herauskommen und das Kind rauben: du mußt mir eifrig nachspringen, als 
wolltest du mir es wieder abjagen. Ich lasse es fallen, und du bringst es 
den Eltern wieder zurück; die glauben dann, du hättest es gerettet, und sind 
viel zu dankbar, als daß sie dir ein Leid antun sollten; im Gegenteil, du 
kommst in völlige Gnade, und sie werden es dir an nichts fehlen lassen." 
Der Anschlag gefiel dem Hunde, und wie er ausgedacht war, so ward 
er auch ausgeführt. Der Vater schrie, als er den Wolf mit seinem Kinde 
durchs Feld laufen sah; als es aber der alte Sultan zurückbrachte, da war 
er froh, streichelte ihn und sagte: „Dir soll kein Härchen gekrümmt werden; 
du sollst das Gnadenbrot essen, solange du lebst." Zu seiner Frau aber 
sprach er: „Geh gleich heim und koche dem alten Sultan einen Mehlbrei, 
den braucht er nicht zu beißen, und bring' das Kopfkissen aus meinem Bette, 
das schenk' ich ihm zu seinem Lager." Von nun an hatte es der alte Sultan 
o gut, als er sich's nur wünschen konnte. 
3. Wie der Wolf seinen Lohn verlangte. 
Bald hernach besuchte ihn der Wolf und freute sich, daß alles so wohl 
gelungen war. „Aber, Gevatter", sagte er, „du wirst doch ein Auge zu¬ 
drücken, wenn ich bei Gelegenheit deinem Herrn ein fettes Schaf weghole.
	        
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