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Menschenmassen nach seinem Palais. Orkanartig erdröhnt dort noch einmal
ein hunderttausendstimmiges Hurra, der König richtet einige Worte des
Dankes von der Rampe H an das Volk, dann tritt er in sein Palais.
Doch nicht lange wird dem von der anstrengenden Fahrt ermüdeten
Monarchen Ruhe gegönnt; die Volksmenge umsteht noch immer den Palast
und läßt nicht nach, bis er sich aufs neue am Fenster zeigt. Da entblößen
sich rasch alle Häupter, und ans vieltausendstimmigem Chor braust die
Nationalhymne zu ihm hinauf, männlich, gewaltig und doch oft vor innerer
Erregung und Mannesthränen zitternd. Der Fenergeist von 1813 leuchtet
ans dem Gesänge hervor.
Es ist 11 Uhr. Noch immer wogt das Volk auf und ab vor dem
Palaste. Da erscheint Moltke, der schweigsame Denker der Schlachten.
Stürmisches Willkommen wird ihm von allen Seiten zuteil, fast hebt
man ihn auf die Schultern, um ihn ins Palais zu tragen. Eine halbe
Stunde später, da die begeisterten Rufe nicht aufhören, treten einige Schutz¬
leute unter die Versammelten: der König ließe bitten, nach Hause zu gehen,
er habe noch viel zu arbeiten diese Nacht! „Der König will Ruhe! Nach
Hause! Nach Hause!" erschallt es durch die Menge, und in wenig Augen¬
blicken ist der ganze Platz geleert.
Noch spät in die Nacht hinein brannte die Lampe in dem königlichen
Arbeitszimmer; und doch hat man schon in der Frühe des nächsten Mor¬
gens den rastlosen Fürsten wieder aus dem Portale des Palais hinaus¬
treten sehen, einen leichten Soldatenmantel übergeworfen und eine einfache
Dienstmütze aus dem Kopse.
Ausübung militärischer Pflichten, ernste und lange Beratungen mit
den Ministern, Audienzerteilungen warteten ja des Königs nach seiner
Rückkehr in die Residenz.
Das königliche Palais ist vom Morgen bis zum Abend von Bolks-
massen umdrängt, und so oft der König sich am Fenster zeigt, ist des Bei-
salljauchzens kein Ende. Und wenn er im offenen Wagen ausführt, wird
er mit immer neuem Jubel begrüßt: es ist, als wolle jedermann ihn durch
seine Liebe und Begeisterung entschädigen für die ihm von Frankreich an¬
gethane Unbill. Daheim.
49. Wilhelm am Grabe Luisens.
1. Zu Charlottenburg im Garten
in den düstern Fichtenhain
tritt, gesenkt das Haupt, das greise,
unser teurer König ein.
2. Und er steht in der Kapelle,
seine Seele ist voll Schmerz,
drin zu seiner Ettern Füßen
liegt des frommen Bruders Herz.
') Rampe — die schräg angehende
3. An des Vaters Sarkophage
lehnet König Wilhelm mild,
seines Vaters Auge ruhet
auf der Mutter Marmorbild.
4. „Heute war's vorsechzigJahren".
leise seine Lippe spricht,
„als ich sah zum letztenmale
meiner Mutter Angesicht.
'luffahrt vor dem Palais, die Lehne.