Full text: Realienbuch (Theil 2)

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254. Ludwig I., König von Bayern. 
er auf der Stange, als ob er sich noch über den Tod seines 
Herrn betrübte, wie etwa ein alter Diener, wenn nach dem 
Tode seiner Herrschaft das Hansgeräthe fortgeschafft wird, 
unter dem er alt und grau geworden war, stumm umhergeht 
und sich grämt, daß er das alles überlebt. Als nun der 
alte, unscheinbare Vogel unter den Hammer kam, bot niemand 
darauf, und nachdem ihn der Ausrufer drei- oder viermal 
angeboten hatte und alles schwieg, wurde der Käsig mit dem 
Staare in eine Ecke bei Seite gesetzt und wurden andere Dinge 
ausgerufen. Auf einmal schallt es in der Ecke: „Max Joseph, 
Vater Max!" — Alle Köpfe wendeten sich um nach der 
Seite hin, woher der Ruf kam. „Wer ist's? Wer ruft?" 
fragten viele; und da einer, der dem Käfig zunächst stand, 
sagte: „Es ist der Staar, der weggesetzt worden ist," da 
riefen Alle wie ans einem Munde: „Den Staar, den Staar 
her!" So kam der unscheinbare Vogel mit einem Male zu 
Ehren, weil es eben jedem vorkam, als habe die treue 
Liebe, die er selbst im Herzen hegte, durch den Vogel eine 
Stimme bekommen. Der Staar selbst aber, da Alles um 
ihn her lebendig wurde, und alle Anwesenden ihn liebkosten 
und lobten, wurde nun auch ganz munter und rief in einem 
fort: „Max Joseph! Vater Max!" nicht, wie man zu sagen 
pflegt, als ob er dafür bezahlt würde, sondern so recht aus 
vollem Herzen. Da wollte nun Jeder den beredt gewordenen 
Vogel haben, und die Gebote jagten und überstiegen sich, 
so daß wohl nie ein Staar so theuer bezahlt worden ist. 
Und der, welcher ihn endlich erhielt, meinte, einen Sieg 
gewonnen zu haben, und trug ihn im Triumphe nach Hanse, 
und die andern beneideten ihn. — Das war denn auch 
eine Leichenfeier von eigenthümlicher Art, und gewiß keine 
der schlechtesten. 
234. Ludwig I., König von Bayern (1825 — 1848). 
Ludwig I. war geboren am 25. August 1786. Er 
erhielt eine sorgfältige Erziehung, studirte in Landshut 
und Göttingen und machte grosse Reisen nach Italien, 
Frankreich und Spanien, wodurch seine Liebe zur Kunst 
geweckt und genährt wurde. Als Kronprinz lebte er 
abwechselnd in Salzburg, Innsbruck, Würzburg und 
Aschaffenburg und widmete sich fast ausschliesslich den 
Künsten und Wissenschaften. In seinem Privatleben spar¬ 
sam, konnte er schon damals beträchtliche Summen auf
	        
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