450 VI. Das Gewerbe im Weltverkehr, im Ausland und im Vaterlande.
denken aus der Hand des kunstsinnigen und kunstfertigen jungen
Tschudi⸗Christen.
3. Wie alle wahrhaft künstlerisch veranlagten und strebsamen
Naturen war auch dieser mit seinen Leistungen niemals zufrieden, und
die Anerkennung, die er mit seinen Arbeiten fand, wurde ihm nur
zum Sporn für ein unermüdliches und erfolgreiches Weiterschreiten.
Die einfachen Drehformen waren bald erschöpft; es galt, Neues zu er—
sinnen, um es den Abnehmern zu bieten. Das war in der abgelegenen
Landschaft ohne vorbildliche Arbeiten und verbesserte Werkzeuge keine
leichte Aufgabe. Tschudi-Christen der Jüngere löste sie mit Aus—
dauer und mit dem prüfenden Blicke, den er auf die umgebende Natur
richtete. Ihr entnahm er allerlei Zierformen, die er, wie auch selbst—
gebildetes geometrisches Ornament, dem Erzeugnisse seiner Drehbank
mit dem sog. Geißfuße einritzte. Auch fertigte er wohl Sachen aus
zusammengefügten, verschieden gefärbten Hölzern und erreichte hierdurch
sowie durch Beizen, Olen und Lackieren willkommene Abwechselung in
der Färbung der niedlichen Gegenstände. Diese Neuheiten fanden
guten Absatz. Am Gasthause zum Bären in Brienz hatte er einen
Verkaufsladen eingerichtet; in der Reisezeit brachte ihm dieser Erkleck—
liches. Auch am Gießbache bot er seine Erzeugnisse feil; die Fremden
nahmen gern ein kleines Andenken mit. Zwar zeigten die Sachen
noch manche eckige Form; doch es erfreute an ihnen das sinnige
Streben, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Man zahlte
gute Preise.
4. Aber nicht nur für den Markt arbeitete der Tschudi-Christen;
er wagte sich bald an höhere Aufgaben. Nachdem er sich brauchbares
Schnitlerwerkzeug zu beschaffen gewußt, machte er sich daran, seine
Fabrikate auch mit Reliefs, Laubwerk, Tierköpfen, Bandwerk, In—
schriften ꝛc. zu schmücken. Die Pflanzen- und Tierwelt der Alpen
wurde das Gebiet, auf dem er mit Glück nach Vorbildern suchte. Er
sah einst in Luzern den bekannten, von Thorwaldsen modellierten
Löwen, ein Meisterwerk der Großbildnerei. Sofort kopierte er ihn,
und noch mancher Briefbeschwerer aus seiner Hand findet sich heute,
auf dem er den Löwen sauber in Holz geschnitzt hat. Kruzifixe,
Heiligenbilder, Chorgestühl von tüchtiger Hand sah er in den Kirchen
seiner Heimat; sie dienten ihm zu Vorlagen. Auch Wilhelm Tell und
der Apfelschuß, der Schwur der Drei auf dem Rütli und andere
Gestalten und Ereignisse aus der schweizerischen Geschichte und Sage
wirkten befruchtend auf seinen Schaffenseifer — Und merkwürdig, es
lag in dem mutigen Bildschnitzer so viel angeborenes Talent, daß
ihm derartige Aufgaben, die doch eine fertige Hand und tüchtige
Kenntnisse von dem Bau des menschlichen und tierischen Körpers vor—
aussetzen, wohl gelangen. Dazu vervollkommnete er auch fortgesetzt
alle zum Handwerke gehörigen Geräte und Werkzeuge, lehrte beanlagte
junge Leute seine Kunst und hatte bald, wie die berühmten Meister
Italiens im 16. Jahrhundert, eine vollständige Schnitzerschule um
sich versammelt.