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Vorzüge verwandeln, so mußte er den Blick nunmehr strenge auf das Ideal Glucks
richten. Er versuchte es. „Euryanthe" sollte eine Oper des hohen und strengen
Stils werden, dabei aber freilich doch eine Webersche, eine romantische Oper sein.
Schon im Textbuch mußte der glückliche Ausgang, der ursprünglich die Handlung
beschloß, auf das Andringen des Komponisten sich in einen tragischen verwandeln;
denn Weber wußte sehr wohl, daß auch in der Musik nur die Tragödie dem
höchsten Stil entspricht. Indem er selber sagte, „Euryanthe" könne so wenig ein
Zugstück werden als „Don Carlos" oder „Iphigenie", bekundet er klar, auf welche
Gattung der Dramatik nunmehr sein Streben zielte. Schon in der Kantate
„Kamps und Sieg" (1815), die überhaupt ein Wegweiser der nachfolgenden drama¬
tischen Laufbahn Webers ist, hatte er die gangbaren Formen mit Willen vermieden,
die Arie dem Ensemble und den Chören, den rein musikalischen Aufbau dem freien
poetischen Tongemälde geopfert. So sollte auch in der „Euryanthe" das Einzel¬
werk dem Ganzen, die absolute Schönheit der Tongebilde dem dramatischen Gedanken¬
gang untergeordnet werden, symphonische Kraft der Massen in Beethovens Art
sollte Gluckscher Schärfe und Großheit der Charakteristik die Hand reichen, ohne
daß der Autor dabei den Glanz und das subjektive Feuer der modern romantischen
Schreibart irgend zu verschmähen gedachte. Allein für eine so gewaltige Aufgabe
fehlte unserem Weber die Klarheit und eherne Stetigkeit Glucks und der sichere
plastische Griff Beethovens. „Euryanthe" war voll neuer, großer dramatischer
Züge, formell viel einheitlicher als der „Freischütz", im Geiste und in der Wirkung
aber dennoch ohne Vergleich verwirrter und fragmentarischer. Sie deutet bereits
prophetisch auf Richard Wagner. Die Sänger und Sängerinnen, jene durch Rossini
verzogenen Kritiker der Bretter, nannten die Euryanthe mit stehendem Theaterwitz
die Ennuyante, weil sie dem Handwerk so wenig „dankbare" Rollen bot; echte
Künstlerinnen haben freilich gezeigt, wie dankbar auch die Euryanthe sein kann.
Das Publikum nahm das kühne Werk mit jener Achtung auf, welche bei der Bühne
gewöhnlich nach Jahr und Tag Vergessenheit erzeugt. Allein ein universeller
deutscher Musiker wie Weber lebt in seinen Gesamtwerten, und unter diesen wird
Euryanthe wahrlich als ehrenvolle und notwendige Urkunde für das ganze Streben
und Wirken unseres Meisters nicht vergessen werden. Wenn Weber, neben Spohr
der glänzende Realist, irgend ein Werk im lautern Ringen nach dem höchsten
Ideale schrieb, eine Oper um Gotteswillen, dann ist es diese. Die Stelle des
Textes, welche er musikalisch so ergreifend faßte: „Ich bau auf Gott und meine
Euryanth!" klang ihm schon beim Anbeginn der Arbeit, wie er sagt, im Geiste,
sie klang in der Ouvertüre, sie klang und begeisterte ihn durchs ganze Tongedicht
und ward ihm ein Wahlspruch während des großen heißen Tagewerks. Sie
zeichnet auch uns den Zug des Meisters zum höchsten Ideale, der ihn unmittelbar
nach dem glänzendsten Erfolge ergriff, wo tausend andere nur noch dem Götzen des
Erfolgs geopfert haben würden.
Es sind drei Hauptstoffe der Romantik, welche Weber in seinen drei Haupt¬
opern musikalisch durchbildete: die deutsche Volkssage im „Freischütz", die Ritter¬
geschichte in der „Euryanthe" und das Märchen im „Oberon". Diese letzte Oper