Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

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fein Fenster und nahm das zutrauliche Thierchen freundlich in seine Wohnung. 
Nun pickte es die Brosamen und Krümchen auf, die von seinem Tisch fielen. Auch 
hielten die Kinder des Landmanns das Vöglein lieb und werth. Aber als nun 
der Frühling wieder in das Land kam und die Gebüsche sich belaubten, da öffnete 
der Landmann sein Fenster, und der kleine Gast entfloh in das nahe Wäldchen 
und baute sein Nest unv sang sein fröhliches Liedchen. 
Und siehe, als der Winter wiederkehrte, da kam das Rothkehlchen abermals 
in die Wohnung des Landmannes und hatte sein Weibchen mitgebracht. Der Land¬ 
mann aber sammt seinen Kindern freuten sich sehr, als sie die beiden Thierchen 
sahen,'wie sie aus den klaren Aeuglein zutraulich umherschauten.— Und die Kin¬ 
der sagten: „Die Vögelchen sehen uns an, als ob sie etwas sagen wollten!"— 
Da antwortete der Vater: „Wenn sie reden könnten, so würden sie sagen: 
Freundliches Zutrauen erweckt Zutrauen, und Liebe erzeugt Gegenliebe." 
37. Der alte Landmann an seinen Sohn. 
1. Ueb’ immer Treu und Redlichkeit 
bis an dein kühles Grab 
und weiche keinen Finger breit 
von Gottes Wegen ab! 
Dann wirst du, wie auf grünen Au’n, 
durchs Erdenleben gehn, 
dann kannst du sonder Furcht und Grauu 
dem Tod ins Auge sehn. 
2. Dann wird die Sichel und der Pflug 
in deiner Hand so leicht; 
dann singest du beim Wasserkrug, 
als wär’ dir Wein gereicht. 
Dem Bösewicht wird alles schwer, 
er thue, was er thu’. 
Der Teufel treibt ihn hin und her 
und läßt ihm keine Ruh’. 
3. Der schöne Frühling lacht ihm nicht, 
ihm lacht kein Aehrenfeld; 
er ist auf Lug und Trug erpicht 
und wünscht sich nichts als Geld. 
Der Wind im Hain, das Laub am Baum 
saust ihm Entsetzen zu. 
Er findet nach des Lebens Traum 
im Grabe keine Ruh'. 
4. Sohn, übe Treu1 und Redlichkeit 
bis an dein kühles Grab 
und weiche keinen Finger breit 
von Gottes Wegen ab! 
Dann suchen Enkel deine Gruft 
und weinen Thränen drauf, 
und Sommerblumeu, voll von Duft, 
blühn aus den Thränen auf. 
33. Die Sternthaler. 
, (Märchen.) 
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter 
gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte, 
darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und endlich 
gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot 
in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war 
aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging 
es im Vertrauen auf den lieben Hott hinaus ins Feld; da begegnete ihm 
ein armer Mann, der sprach: „Ach, gieb mir etwas zu essen, ich bin so 
hungrig!" Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: „Gott 
segne dirs!" und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und 
sprach: „Es friert mich so an meinem Kopf, schenk’ mir etwas, womit 
ich ihn bedecken kann!" Da that es seine Mütze ab und gab sie ihm.
	        
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